Gender-Theorien am Bundesverfassungsgericht

von Christl R. Vonholdt

Am 1. Februar 2011 tritt Susanne Baer ihr neues Amt als Richterin am Bundesverfassungsgericht an. Die 46jährige bekennend lesbisch lebende Rechtswissenschaftlerin ist Vertreterin der radikalen Gender-Theorien. Seit 2002 ist sie Professorin für öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt Universität in Berlin. Dort lehrt sie Feministische Rechtswissenschaft, zugleich der Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Baer ist Mitherausgeberin der feministischen Zeitschrift Streit.

Von der Gründung 2003 bis 2010 war Baer Direktorin des GenderKompetenzZentrums (GKompZ) an der Humboldt Universität Berlin, das bis zum Sommer 2010 vom Bundesfamilienministerium vollfinanziert wurde. Baer hat die Inhalte und Zielrichtung des GKompZ entscheidend geprägt. Aufgabe des GKompZ war und ist es, das Programm des Gender Mainstreaming, auf das sich die Deutsche Bundesregierung im Jahr 2000 festgelegt hat, politisch und gesellschaftlich in die Praxis umzusetzen. Dabei geht es, so Baer, um „gleichstellungsorientiertes“ Handeln. Ein Blick auf die Arbeit des GKompZ von 2003 bis 2010 zeigt aber: Ausgangspunkt dieser Gleichstellung ist weniger das Geschlecht als vielmehr Gender.

Gender Mainstreaming – als Begriff auf der Pekinger Weltfrauenkonferenz 1995 gekürt – hat das Ziel, die Gender-Theorien (Gender Studies) in den Mainstream der Gesellschaft zu holen. Auch wenn diese Theorien zahlreiche Facetten haben, etwa die von der Frau als Dauer-Opfer, gehen sie im Kern von zwei nie bewiesenen Voraussetzungen aus: Erstens: Es gibt keine Essenz, keinerlei „gegebene“ Natur des Menschen; alles was existiert, ist nur sozial und kulturell konstruiert. Zweitens: Verschieden ist ungleich und ungleich ist immer ungerecht. Die Gender-Theorien anerkennen keinerlei wesenhafte Unterschiede zwischen Mann und Frau. Wo Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen auftauchen, sind sie nur sozial konstruiert und müssen möglichst früh in der Erziehung bekämpft werden. Da alle Unterschiede auf Ungleichheit und damit auf Unterdrückung vor allem der Frau hindeuten, hat der Staat dafür zu sorgen, dass sämtliche Geschlechtsrollenunterschiede abgeschafft werden. Eine Frau, die auf Karriere verzichtet, weil ihr die Bindung an Familie und Kinder wichtiger ist, hat noch nicht das richtige Bewusstsein. An diesen Zielen orientieren sich EU-Vorgaben, auch der EU-Fahrplan zur Gleichstellung 2006-2010.

Allerdings scheitert die so angestrebte Gleichheit immer wieder am „Geschlecht“, das ja auf die unterschiedliche Leiblichkeit von Mann und Frau hinweist, darauf, dass der Mann zeugen, die Frau aber schwanger sein, gebären und stillen kann. Leiblichkeit weist darauf hin, dass eine Frau-Mann-Beziehung verschieden ist – und eben nicht gleich – von einer Mann-Mann- oder einer Frau-Frau-Beziehung. Jede Betonung von Geschlecht, so die Gender-Theorien, weise auf Ungleichheit hin und arbeite dem „Regime der Heterosexualität“ zu. Die Gender-Theorien verneinen nicht nur jede präkulturell wirksame, sondern überhaupt jede herausgehobene Bedeutung von Geschlecht. Beim GKompZ heißt es: Gender Mainstreaming „bedeutet, gesellschaftlich oder auch juristisch darauf zu achten, dass das Geschlecht eines Menschen deren [sic!] Leben nicht entscheidend prägen darf.“ Nicht mehr Geschlecht zählt, nur noch Gender; und Gender ist „Geschlecht in der Vielfalt seiner sozialen Ausprägungen“. Anders als Geschlecht ist Gender unabhängig von biologischen Vorgaben und beinhaltet, so das GKompZ, „vielfältige Lebenslagen… im Zusammenhang mit… sexueller Orientierung und Lebensweisen“.

Im April 2010 hatten SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke gefordert, dass der Gleichheitsartikel, Art. 3 unseres Grundgesetzes, um das Merkmal „sexuelle Identität“ erweitert werden solle. Frau Baer unterstützte die Forderung. Es sei Ausdruck einer „Zweiklassengesellschaft“, so Baer, wenn man homosexuell und bisexuell lebenden Menschen sowie denjenigen, die in Lebensformen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit leben, nicht dieselben Rechte „in der Gestaltung ihrer familiären Beziehungen“ geben würde, wie sie bisher der Ehe zwischen Mann und Frau vorbehalten sind.

Von Frau Baer, wie auch von anderen Protagonisten der LSBT-Bewegung (LSBT: lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell/transgender), werden subjektives sexuelles Begehren und gewählte plurale sexuelle Lebensweisen auf derselben Stufe behandelt wie bisher nur das objektive Merkmal des Geschlechts, Frau und Mann. Ebenso werden zahlreiche, bewusst oder unbewusst gewählte Lebensstile jenseits der gegebenen Zweigeschlechtlichkeit – etwa verschiedene Transgender-Lebensstile – wie eigene Geschlechter behandelt. Im Jahr 2006 lud das GKompZ zu einer Tagung zum Thema Transgender mit den Worten ein: „So gesehen ist nicht Trans als Lebensform erklärungsbedürftig, wohl aber das System der Zweigeschlechtlichkeit.“ Die leitende Mitarbeiterin von Baer im GKompZ, Regina Frey, hat es auf den Punkt gebracht: „Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Kategorie ’Gender’… nimmt die… Überwindung von Geschlecht zum produktiven Ausgangspunkt des Handelns. (…) Wo Geschlechterdualität war, soll Geschlechtervielfalt werden.“

Die Gender-Theorien sind eine umfassende Weltsicht. In ihrem Mittelpunkt steht allein das autonome Individuum, dem nichts gegeben und damit auch nichts aufgegeben ist, das vielmehr sich selbst und seine Identität immer wieder frei erfinden und konstruieren muss. Doch eine Gesellschaft setzt sich nicht aus autonomen Individuen zusammen. Wie nichts anderes – und eben deshalb unvergleichbar – wird jede Gesellschaft durch den gegebenen Unterschied von männlich und weiblich gestaltet, denn er ist Voraussetzung für Elternschaft und Kinder. Auch jedes Individuum verdankt sein Leben diesem geschlechtlichen Unterschied. Keine Gesellschaft konstituiert sich auf der Ebene der Individuen, sondern auf der Ebene von Mutter- und Vaterschaft. Erst hier, in Vater- und Mutterschaft erhält der gegebene geschlechtliche Unterschied seine Bedeutung. Nur wer die Dimension zum Kind hin und damit zur Zukunftsfähigkeit jeder Gesellschaft hin ausblendet, kann leichtsinnigerweise den Unterschied von Frau und Mann mit der Vielfalt „vielfältiger… Lebensweisen“ gleichstellen.

Den Gender-Theorien zufolge ist alles, was ist, nur sozial und kulturell konstruiert. Es muss dekonstruiert und immer wieder neu konstruiert werden. Doch nach welchen Kriterien? Gilt das auch für das Recht? Was meint Baer, wenn sie schreibt, dass staatliches Recht ein „Mittel zur Konstruktion von Wirklichkeit“ ist. Gibt es noch eine objektive Norm, wenn es keine „Natur“ des Menschen gibt? Worauf beruht das Recht, wenn es nichts Absolutes mehr gibt? Gibt es dann überhaupt noch eine vor jeglicher Konstruktion dem Menschen gegebene, unantastbare Würde? Woran macht sie sich fest? Wenn nichts gegeben und alles nur konstruiert ist, ist alles der Willkür des Menschen unterworfen. Das Menschliche selbst wird zum Experimentierfeld für den Menschen.

Copyright: DIJG - 21.02.2011
Der Artikel wurde am 01.02.2011 unter der Überschrift Gender in Karlsruhe in Die Tagespost veröffentlicht.

Von

  • Christl Ruth Vonholdt

    Dr. med., Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, frühere Leiterin des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft. Arbeitsschwerpunkte: Identität, Identitätsentwicklung, Bindungstheorien, Sexualität, Auseinandersetzung mit den Gender-Theorien und christliche Anthropologie.

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