Das Kindeswohl nicht im Blick

Christl R. Vonholdt

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Studie „Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften“

Am 16.11.2009 hat der Rechtsausschuss der „Parlamentarischen Versammlung des Europarates“ sich für Adoptionsmöglichkeiten für homosexuell lebende Paare in seinen 47 Mitgliedsstaaten ausgesprochen.1

Frau Brigitte Zypries (SPD), die bis vor kurzem amtierende Bundesjustizministerin, setzte sich für ein allgemeines Adoptionsrecht für homosexuell lebende Paare ein: Homosexuelle Partnerschaften sollten, so wie bisher Ehepaare, fremde Kinder gemeinsam adoptieren dürfen. Im Sommer 2009 stellte sie dazu eine von ihr in Auftrag gegebene Studie vor: „Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften“, hrsg. von Marina Rupp, Köln 2009. Danach soll das Kindeswohl bei einem homosexuell lebenden Frauen- oder Männerpaar ebenso gut gewährleistet sein wie in einer Familie mit Mutter und Vater.

Diese Studie ist weiter aktuell, auch wenn es jetzt eine neue Bundesregierung gibt. Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die neue Bundesjustizministerin, fordert ebenso ein volles Adoptionsrecht für homosexuelle Partnerschaften.2

Dies alles sind Gründe genug, sich mit den genannten Studien intensiver zu befassen.

Im Sommer 2009 stellte die damals amtierende Bundesjustizministerin Brigitte Zypries die Ergebnisse einer von ihr in Auftrag gegebenen Studie vor.3 Frau Zypries: „Nach den Ergebnissen der Studie ist das Kindeswohl in Regenbogenfamilien genauso gewahrt wie in anderen Lebensgemeinschaften. …Kinder entwickeln sich bei zwei Müttern oder zwei Vätern genauso gut wie in anderen Familienformen.“4 Dies sind weitreichende Schlussfolgerungen, die bei näherem Hinsehen durch nichts in der Studie zu belegen sind.

Worum geht es?

Zunächst: Es gibt weit mehr adoptionswillige Ehepaare als Kinder, die auf eine Adoption warten. Hier liegt also keine Notlage vor, aus der heraus eine Ausweitung des Adoptionsrechts zu erwägen wäre.
Bei der Frage nach einem allgemeinen Adoptionsrecht für homosexuelle Partnerschaften sind mindestens zwei Fragekomplexe zu klären:

Ist das Geschlecht der „Eltern“ bedeutungslos, also „gleich-gültig“ oder hat es Entwicklungsvorteile für Kinder, wenn sie in der männlich-weiblichen Doppelstruktur von Vater und Mutter aufwachsen und so ein konkretes Mutter- und Vaterbild haben?

Es gibt zahlreiche, statistisch gesicherte Unterschiede, was das Leben homosexuell bzw. heterosexuell lebender Menschen betrifft. Haben diese Unterschiede Auswirkungen auf die Kinder?

Die Stichprobe der Studie

Die „Eltern“-Befragung

In der Studie wurden insgesamt 1.059 erwachsene Personen befragt, ausgewertet wurden im Wesentlichen die Einschätzungen der 866 Personen, die in eingetragenen Lebenspartnerschaften lebten.
Davon waren 93% Frauen, nur 7% Männer. Ihre Aussagen beziehen sich auf 693 Kinder, von denen fast alle (92%) seit Geburt bei einem leiblichen Elternteil, fast immer der Mutter, lebten.

Auffallend ist: Obwohl die Stiefkindadoption seit 2005 möglich ist, hatte bei über zwei Drittel aller Kinder die Partnerin der Mutter das Kind nicht adoptiert.

Von den 332 Kindern, bei denen es Informationen zum außerhalb der „Regenbogenfamilie“ lebenden leiblichen Elternteil (fast immer der Vater) gab, hatten 74% der Kinder eine Beziehung zu ihrem Vater.

Die Mütter und ihre Partnerinnen (93%) äußerten sich ausführlich zu zahlreichen Themen, etwa zur künstlichen Befruchtung, wie sie sich die häusliche Arbeit aufteilen und dann auch zur Entwicklung und dem Sozialverhalten ihrer Kinder sowie zu ihrer eigenen Erziehungskompetenz.

Die Kinderbefragung

Befragt wurden 95 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 19 Jahren (Durchschnittsalter 14 Jahre). Sie wurden von ihren „Eltern“ ausgewählt. Auch hier lebten fast alle (93%) bei der leiblichen Mutter. Die meisten (78%) stammten aus einer frühren heterosexuellen Partnerschaft und hatten im Mittel die ersten 5 Jahre gemeinsam mit Mutter und Vater verbracht. Zum Zeitpunkt des Beginns der „Regenbogenfamilie“ waren sie im Mittel 7,6 Jahre alt. 66% hatten zum Zeitpunkt der Befragung eine Beziehung zum leiblichen Vater.

Das Geschlecht der Eltern ist nicht gleich-gültig

Aus den Zahlen ist ersichtlich:

Die meisten der befragten Kinder kannten ihren Vater und ihre Mutter! Dass es genau diese Tatsache ist, die zu einer positiven Entwicklung der Kinder beigetragen hat, kann die Studie nicht widerlegen.
Die aus der Stichprobe gezogenen Schlüsse sind nicht übertragbar auf Adoptivkinder, die von Geburt an bei einem fremden, homosexuell lebenden Frauenpaar oder Männerpaar aufwachsen und nie die männlichweibliche Doppelstruktur als Grundlage ihres eigenen Lebens im Alltag erleben.
Fast alle Kinder der Studie lebten seit Geburt nicht bei einer fremden Frau, sondern bei ihrer leiblichen Mutter – ein wichtiger Stabilisierungsfaktor für ihre Entwicklung.
Zudem hatten nicht wenige Kinder und sogar 66% der befragten Kinder auch eine dauerhafte Beziehung zum leiblichen Vater.
Die meisten der befragten Kinder hatten also einen konkreten Zugang zu ihrem eigenen zweigeschlechtlichen Ursprung, er war dadurch fest in ihrem Denken verankert. Solche Verankerung des eigenen Ursprungs ist in der Regel auch Kindern alleinerziehender Mütter gegeben, denn sie wissen, dass der Vater fehlt und können den Verlust deshalb bearbeiten.

Befürworter eines vollen Adoptionsrechts für homosexuelle Partnerschaften dagegen betonen immer wieder, die „homosexuelle Familie“ sei eine „komplette“, nur alternative Familie, ihr fehle das andere Geschlecht nicht wirklich; wer solches behaupte, diskriminiere nur die neue Familienform. Wer aber – bei einem vollen Adoptionsrecht – Kindern von Geburt an vermittelt, sie hätten wirklich „zwei Väter“ oder „zwei Mütter“ und niemand fehle, „ursprungsmanipuliert“5 diese Kinder und trägt so zu ihrer erschwerten Identitätsfindung bei. Diesen gravierenden Vorwurf kann die vorliegende Studie nicht entkräften.

78% der befragten Kinder hatte im Mittel die ersten fünf Lebensjahre gemeinsam mit Mutter und Vater verbracht! Die ersten Lebensjahre sind aber für die kindliche Entwicklung sehr bedeutsam. So ist etwa die Entwicklung einer sicheren Geschlechtsidentität, für die das Kind männliche und weibliche Bilder braucht, mit fünf Jahren im Wesentlichen schon abgeschlossen. Zu den wichtigen Fragen der Geschlechtsidentitätsentwicklung kann die Studie auch aus diesem Grund keine validen Aussagen machen.

Kaum etwas ist in der sozialwissenschaftlichen Forschung der letzten vierzig Jahre so gut belegt wie die Tatsache, dass Mutter und Vater geschlechtsabhängig Verschiedenes und Komplementäres für die Entwicklung der Kinder leisten. Die führenden deutschen Bindungsforscher Klaus E. und Karin Grossmann sind der Auffassung: „Wir haben es also mit deutlichen Geschlechtsunterschieden im Einfluss der Eltern auf die Entwicklung ihrer Kinder zu tun. (…) Beide zusammen, Vater und Mutter, legen also erst die Grundlagen für psychische Sicherheit und ergänzen einander“.6 Vaterentbehrung und Mutterentbehrung, auch das ist wissenschaftlich gut belegt, haben negative, das ganze Leben der Kinder belastende Langzeitfolgen. Die vorliegende Studie kann diese Erkenntnisse nicht entkräften. Anders als häufig bei alleinerziehenden Müttern oder Vätern, wird solche Entbehrung dem Kind in „homosexuellen Familien“ vorsätzlich zugemutet.

Es fehlen handfeste Daten in der Studie

Als Grundlage für eine Gesetzesänderung ist die Studie auch aus anderen Gründen fragwürdig. Es fehlen empirisch abgesicherte Daten:

1. Die entscheidende Frage bei Interviews ist, wie zuverlässig und objektiv die Selbstaussagen von Befragten sind. Angesichts der Tatsache, dass es sich hier um ein sehr sensibles, potenziell selbstwertabträgliches und mit politischen Zielen aufgeladenes Thema handelt, gibt es keine handfesten Beweise dafür, dass die persönlichen Einschätzungen der Mütter den objektiven Gegebenheiten entsprechen. Objektivere Beurteilungen wie etwa psychologische Gutachten über das Verhalten der Kinder fehlen.

2. Aus der Forschung ist bekannt, dass Selbstbeurteilungen von Kindern und Jugendlichen häufig nicht objektiv sind und dass Kinder in der Regel ihre eigene Familie und engsten Bezugspersonen schützen. Sorgfältige Studien schließen deshalb Verhaltenbeobachtungen mit ein. Verhaltensbeobachtungen fehlen in der Studie völlig.

3. Wir wissen, dass beispielsweise die Scheidungsforschung anfangs mit Fragen nach sozialen Kompetenzen der Kinder oft keine Unterschiede zu Kindern aus Nicht- Scheidungsfamilien feststellen konnte. Erst später hat man genauere „Messinstrumente“ entwickelt und damit die traumatischen Spätfolgen für die Kinder offen legen können. Wichtige Fragen wie die nach der sexuellen Orientierung der Jugendlichen, sexuellen Erfahrungen und grundsätzlichen Lebensund Beziehungserwartungen der Kinder wurden in der Studie nicht gestellt.

4. Jedes homosexuell lebende Paar mutet einem Kind vorsätzlich eine Vater- oder Mutterentbehrung zu. Für lesbisch lebende Frauen etwa ist es kennzeichnend, dass sie den Mann und das Männliche aus ihrer Nähebeziehung strukturell ausgeschaltet haben. Welche Langzeitauswirkungen hat diese bewusste Ablehnung des Männlichen auf mitlebende Jungen, die lernen müssen, ihre eigene Männlichkeit positiv zu integrieren? Für diese und weitere wichtige Themen wie Identitätskrisen, sexuelle Probleme, Depressionen als Langzeitfolge hätte es einer Langzeitstudie bedurft. Die Forscherinnen geben selbst zu, dass für „valide Befunde zur Persönlichkeitsentwicklung“ eine Langzeitstudie erforderlich gewesen wäre.7

5. Bei der Befragung der Kinder erfährt man nur vage, um welche Themen es geht, etwa welche Gefühle der Verbundenheit die Kinder mit ihrer jetzigen Familie haben. An keiner Stelle sind die genauen Fragen, die den Kindern gestellt wurden, aufgelistet. Diese mangelnde Transparenz verringert zusätzlich den wissenschaftlichen Wert der Studie.

6. Obwohl das Bundesjustizministerium ausdrücklich homosexuell lebende Männerpaare einbezieht, ist deren Zahl (7%) zu gering, um daraus allgemeine Schlussfolgerungen ableiten zu können.

Statistisch gesicherte Unterschiede in den Lebensformen

Die Forschung hat gesicherte Daten über Unterschiede, was das Leben homosexuell bzw. heterosexuell Lebender anbetrifft.

  • Zahlreiche Studien, so auch eine brandaktuelle amerikanische Studie aus dem Jahr 20098, weisen nach, dass bei homosexuell lebenden Männern und Frauen die Häufigkeit psychischer Erkrankungen deutlich höher ist als unter heterosexuell Lebenden.9 (Versuche zu zeigen, dass die Ursache hierfür in gesellschaftlicher Diskriminierung läge, schlugen bisher fehl.) Welche Auswirkungen haben diese Unterschiede auf die mitlebenden Kinder?
  • Ebenso zeigen zahlreiche Studien, dass bei homosexuell lebenden Männern Sex, ein sexualisiertes Umfeld und Promiskuität, d.h. häufige sexuelle Nebenpartner neben einer „festen“ Hauptpartnerschaft, eine wesentlich größere Rolle spielen als in einer üblichen ehelichen Beziehung von Vater und Mutter. Dies gilt auch für homosexuelle Männer, die in einer Lebenspartnerschaft leben. Welche Auswirkungen hat das auf mitlebende Kinder und Jugendliche? Sind sie in einem solchen, stärker sexualisierten Umfeld nicht doch häufiger der Gefahr sexueller Grenzüberschreitungen ausgesetzt? Einiges in der Forschung spricht dafür10, abschließende Erkenntnisse fehlen noch.

Es nützt nichts, diese heiklen Fragen zu umgehen. Wem es wirklich um das Kindeswohl geht, wird sie stellen und mit Daten untermauerte Antworten suchen. In der vorliegenden 355-Seiten-Studie werden diese Fragen (teilweise) zwar auf einer halben Seite kurz gestellt, aber nicht beantwortet.

Das Kindeswohl nicht im Blick

Es geht nicht um die Frage, ob lesbisch lebende Mütter nicht auch Erziehungskompetenzen haben. Es geht um die Frage, was es rechtfertigen könnte, einem Adoptivkind vorsätzlich eine Vater- oder Mutterentbehrung zuzumuten, obwohl dies nicht sein müsste, denn es gibt mehr adoptionswillige Mann-Frau-Ehepaare als Kinder, die auf eine Adoption warten.

In der Studie fällt negativ auf, dass die Mütter und ihre Partnerinnen über Seiten hinweg in ausgedehnten Passagen zitiert werden, doch nur am Ende der Studie finden sich auch zwei sehr kurze Zitate von Kindern, deren Geschlecht nicht genannt ist. Die vorliegende Studie sei, so Frau Zypries, „ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur vollen gesellschaftlichen und rechtlichen Anerkennung homosexueller Paare“11. Genau diesen Eindruck wird man beim Lesen der Studie nicht los: dass es eben doch um die gesellschaftliche Anerkennung homosexueller Lebensweisen geht und nicht um das Wohl des Kindes.

Anmerkungen:

1 assembly.coe.int/ASP/NewsManager/EMB_NewsManagerView.asp

2 www.leutheusser-schnarrenberger.de/politik/bundestag/fraktion/adoptionsrecht-fuer-lesben-undschwule
3 Rupp, Marina (Hrsg.), Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, Bundesanzeiger Verlag Köln 2009, 355 Seiten.
4 www.bmj.bund.de/230709adoption
5 Amendt. G., Kultur, Kindeswohl und homosexuelleFortpflanzung, siehe www.dijg.de/amendtkindeswohl.html
6 Grossmann, K, u. K., Das eingeschränkte Leben, in: Gebauer, K. u. Hüther, G., Kinder brauchen Wurzeln, Düsseldorf 2001, S . 60.
7 Rupp, M., a.a.O., S. 33.
8 www.biomedcentral.com/1471-244X/9/52
9 Z.B. Sandfort, T. et al.: Same-Sex Sexual Behavior and Psychiatric Disorders: Findings from the Netherlands Mental Health Survey and Incidence Study (NEMESIS), Arch. Gen. Psych. 58, 2001, S. 85-91.
10 Z.B. Phelan, J.E. et al., What research shows. Journal of Human Sexuality, hrsg. von NARTH, vol. 1 2009, S. 84-85; Rekers, G., Review of research on homosexual parenting, adoption and foster parenting, S. 77-78, www.narth.com/docs/RationaleBasisFinal0405.pdf
11 www.bmj.bund.de/230709adoption

Von

  • Christl Ruth Vonholdt

    Dr. med., Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, frühere Leiterin des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft. Arbeitsschwerpunkte: Identität, Identitätsentwicklung, Bindungstheorien, Sexualität, Auseinandersetzung mit den Gender-Theorien und christliche Anthropologie.

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