Christopher Street Day – Mythen und Tatsachen

Marion Gebert

Im Jahr 2006 erhielten die weiterführenden Schulen in Berlin im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung eine Handreichung über „lesbische und schwule Lebensweisen“, in der die Schüler über den Christopher Street Day (CSD) erfuhren: „Der CSD … ist mittlerweile zu einem lebensfrohen, gesellschaftlichen Ereignis geworden…“1 Doch was feiert man eigentlich an diesem Gedenktag?

Der Christopher Street Day gilt als „internationaler Feiertag der Schwulen, Lesben und Transgender“2. Die CSD-Paraden sollen an den „legendären Aufstand“ der Homosexuellen am 28. Juni 1969 in der Kneipe Stonewall Inn in der Christopher Street in New York erinnern. Damals hätten Homosexuelle erfolgreich für ihre Befreiung gekämpft.

Wenn man nachfragt, heißt es meist nur, Homosexuelle seien Opfer eines gewaltsamen Polizeieinsatzes geworden; sie hätten sich aber gewehrt und damit die Initialzündung für ihre Befreiung und den Kampf gegen „Homophobie“ gesetzt. Doch das ist nicht die ganze Geschichte.

Die Stonewall Inn-Bar war ein mafiakontrollierter Drogenumschlagplatz. Dort wurde auch illegal Alkohol ausgeschenkt. Die Stammkunden waren Drogenabhängige, Transvestiten, erwachsene Homosexuelle und minderjährige Stricher (unter 18 Jahre), die gegen Geld den erwachsenen Homosexuellen für Sex zur Verfügung standen. Über die 16- oder 17-jährigen Stricher, die „Barboys“, sagte eine der wenigen weiblichen Stammkunden: „Viele der Kids nennen mich Mami.“

In einem Rückblick schreibt die Berliner Zeitung: „Das Stonewall war vollgestopft mit jungen Männern, darunter Drag-Queens (Tunten), Hippies und Jungs aus heruntergekommenen Wohnvierteln. Viele Gäste waren unter 18 Jahre alt.“3

In der Nacht zum 28. Juni 1969 fand eine Polizeirazzia statt, was nicht ungewöhnlich war. Allerdings kam es in dieser Nacht tatsächlich zu einem Aufstand gegen den Einsatz: Die Gäste und Angestellten der Kneipe begannen, Münzen, Bierdosen und Steine auf die Polizisten zu werfen. Es gelang ihnen, die Polizisten in der Kneipe einzuschließen und die Tür mit Hilfe einer ausgerissenen Parkuhr von außen zu verrammeln. Durch ein zerbrochenes Fenster wurde Benzin nach innen geschüttet und angezündet. Die Parole hieß: „Röstet die Bullen!“ (“Roast the pigs alive!“)4. John O’Brien, einer der Gründer der politischen Homosexuellengruppe Gay Liberation Front, war an vorderster Stelle mit dabei. Jahre später gab er zu: „Unser Ziel war es, die Polizei zu verletzen. Ich wollte diese Bullen umbringen.“5

Auch der homosexuelle Schriftsteller Lucian K. Truscott IV war mit dabei. Als Augenzeuge widerlegt er zwei zentrale Mythen, die bis heute verbreitet werden. In der New York Times schreibt er: „Einer der wichtigsten Mythen um Stonewall ist, dass die Unruhen ein Aufstand der schwulen Community gegen jahrzehntelange Unterdrückung gewesen seien. Dies wäre richtig, wenn die ‚schwule Community’ regelmäßig das Stonewall frequentiert hätte. Aber die Stammgäste waren in der Hauptsache Teenager aus Queens, Long Island und New Jersey sowie ein paar junge Drag Queens und obdachlose Jugendliche, die verlassene Häuser in der Lower East Side besetzt hatten. (…) Ein weiterer Mythos ist, dass die Razzia im Stonewall Teil einer größeren Polizeimaßnahme gegen Schwulenbars im Sommer 1969 gewesen sei, weil in diesem Jahr die Bürgermeisterwahl anstand. Tatsächlich wurde der Stonewall-Einsatz von Polizeiinspektor Seymour Pine und Beamten der Sittenpolizei durchgeführt. Es geschah ohne Wissen der Beamten des örtlichen Polizeireviers, da diese unter dem Verdacht standen, Bestechungsgelder von Stonewall und anderen mafiakontrollierten Schwulenbars des Viertels zu erhalten. Inspektor Pine nannte zwei Gründe für diese Razzia: Im Stonewall wurde Alkohol ohne Lizenz verkauft, was stimmt. Zudem wurde es von einem erpresserischen Mafia-Ring genutzt, um homosexuelle Stammkunden zu rekrutieren, die an der Wall Street arbeiteten, was wohl auch stimmt.”6

In seinem Buch The Politics of Homosexuality schreibt der Harvard-Absolvent Toby Marrotta: „Weil die New Yorker Schwulenbars von der Mafia (oder ’Dem Syndikat’) kontrolliert wurden, war es für einen seriösen Geschäftsmann fast unmöglich, eine Schwulenbar mit normalem Ambiente zu eröffnen. ... Das Stonewall Inn [war] eine der bekanntesten mafiakontrollierten Bars...“7
Der Leiter des Polizeieinsatzes Seymour Pine sagte später: „Es ging uns nicht um die Schwulen. Es ging uns um die Mafia.“8

Mittlerweile hatte die eingeschlossene Polizei Verstärkung angefordert, auch weil die Menge außerhalb der Bar immer größer wurde. Erst nach Stunden hatte die Polizei die Situation wieder unter Kontrolle. Es gab Verletzte und mehrere Verhaftungen. Am Morgen danach war das Innere des Stonewall Inn komplett ausgebrannt. Die Proteste hielten noch drei weitere Tage an.

Um Befreiung sei es damals gegangen, heißt es immer wieder. Doch was hat Drogenabhängigkeit, Transvestismus und sexuelle Ausbeutung Minderjähriger mit Freiheit zu tun?

Im Forum einer homosexuellen Jugend-Webseite schreibt ein junger Mann ehrlich: „Wer Stonewall feiert, der feiert den versuchten Lynchmord einer großen Menge an einer handvoll Polizisten. Mein Respekt vor soviel ‚Mut’. Ich bin froh, dass kaum ein Heterosexueller weiß, was tatsächlich in Stonewall passierte, denn wenn die wüssten, was die Homosexuellen da feiern, dann würden sich viele angewidert von denen abgestoßen fühlen, die einen versuchten Lynchmord feiern und das vollkommen zurecht!“9

Anmerkungen

1 Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Landesinstitut für Schule und Medien (Hg.), Lesbische und schwule Lebensweisen, S. 87, abrufbar unter www.berlin.de/imperia/md/content/lb_ads/gglw/themen/lesbische_und_schwule_lebensweisen_2010_ohne_cartoons.pdf Zugriff: 26.08.2011

2 www.gay-web.de/csd.html Zugriff: 26.9.2011

3 Rowohlt, Jörg, Die Legende von Stonewall, Berliner Zeitung, 26. Juni 1999, web.archive.org/liveweb/http:/www.berliner-zeitung.de/archiv/eine-nacht-mit-folgen--vor-30-jahren-begann-die-neue-emanzipationsbewegung-der-homosexuellen-die-legende-von-stonewall,10810590,9658748.html Zugriff: 24.6.2013

4 Webseite des CSD Regensburg, abrufbar unter www.csd-regensburg.de/index3_2.html Zugriff: 22.8.2011

5 Anderson, Melissa, Queens of the Night: What Really Happened at the Stonewall Inn? The Village Voice vom 15. Juni 2010, www.villagevoice.com/2010-06-15/fi lm/queens-of-the-night-what-really-happened-at-stonewall/ Zugriff: 22.8.2011

6 Truscott IV, Lucian K., The Real Mob at Stonewall, New York Times vom 25. Juni 2009 www.nytimes.com/2009/06/26/opinion/26truscott.html Zugriff: 22.8.2011

7 Marotta, Toby, The Politics of Homosexuality, Houghton Miffl in Company Boston 1981, S. 74f.

8 Anderson, Lincoln, ‘I’m sorry,’ says inspector who led Stonewall raid, The Villager Vol. 73, No. 7, 16.- 22. Juni 2004, abrufb ar unter www.thevillager.com/villager_59/imsorrysaysinspector.html Zugriff: 22.8.2011

9 Webseite dbna - du bist nicht allein e.V., Forumbeitrag von Daniel_1987 am 10.03.2005, mein.dbna.de/webforum/viewtopic.php Zugriff: 22.8.2011

Von

  • Marion Gebert

    Diplom-Übersetzerin (Englisch, Russisch) und leitet das Büro des Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft. Arbeitsschwerpunkte: Recherche und Übersetzungen

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