Einführung in den Text von Jeffrey Satinover

„Die paganistische Revolution“

Der Aufsatz „Die paganistische Revolution"1 ist das letzte Kapitel in Jeffrey D. Satinovers Buch „Homosexuality and the Politics of Truth“. lm Grunde setzt der Autor also beim Leser voraus, dass dieser die vorangegangenen elf Kapitel kennt. Dennoch ist der Text auch in sich verständlich. Mit teilweise ungewohnten Bildern und assoziativ geht der jüdische Autor, Arzt und Psychotherapeut Satinover auf die Frage ein: Wie konnte es kommen, dass unsere Zivilisation die Vorstellung einer absoluten Sexualmoral zugunsten einer mehr und mehr gleich-gültigen Akzeptanz verschiedenster sexueller Lebensformen aufgegeben hat?

Satinover geht von der Homosexualität aus, sie ist ja das Thema seines Buches, aber „der allgemeine Terminus 'Homosexualität' ist nur ein lose definierter Aspekt des allgemeinen Polymorphismus der menschlichen Sexualität“2. Aus jüdisch-christlicher Sicht muss solche „Sexualität in ihrem Naturzustand“, so Satinover, erst gezähmt, gebändigt und „geheiligt“ werden.
Der jüdisch-christlichen „absoluten“ Ethik der „Heiligung“ der Sexualität, wonach Sexualität nur in der Ehe zwischen Mann und Frau gelebt werden soll, stellt Satinover die geistige Haltung des moralischen Relativismus gegenüber, die er geistlich als Neopaganismus und Gnostizismus einordnet.

Dass Satinover als wichtigsten Vertreter des modernen Gnostizismus den Psychotherapeuten Carl Gustav Jung nennt, kann nicht verwundern. Jung hat sich selbst zum Gnostizismus bekannt. Schon Micha Brumlik, Professor in Frankfurt, hat in seinem aus jüdischer Sicht geschriebenen religionsphilosophischen Buch „Die Gnostiker"3 ein ganzes Kapitel C. G. Jung unter der Überschrift gewidmet: „Der Gnostiker C.G. Jung - therapeutische Selbsterlösung und Antisemitismus“.

Über den Neopaganismus urteilt der französische Philosoph Rene Girard: „Der Neopaganismus will die Zehn Gebote abschaffen und die gesamte jüdischchristliche Moral als inakzeptable Gewalt erscheinen lassen, und ihre Abschaffung ist sein erstes Ziel. ( ... ) Für diesen Neopaganismus liegt das Glück in der grenzenlosen Erfüllung der Begehren und folglich in der Aufhebung aller Verbote.“4 Satinover formuliert es so: Für den Neopaganismus ist die absolute jüdisch-christliche Ethik eine unzumutbare Begrenzung der natürlichen menschlichen Neigungen, Antriebe und „Instinkte“. (So geht es Satinover nicht nur um Sexualität, sondern auch um andere menschliche Neigungen z.B. im Bereich der Aggression.) Dass solcher Neopaganismus inzwischen in unseren Kirchen weit verbreitet ist, dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Ganz im Sinn der neopaganistischen Sicht heißt es anerkennend über einen deutschen Pfarrer, Vertreter einer Homosexuellengruppe, dass es sein Ziel sei, „...eine als menschenfremd begriffene, normative Sexualethik abzulösen durch ein Konzept..., das konsequent von den Bedürfnissen der Individuen ausgeht.“5

Auch für die fatale Vermischung von Sexualität und Spiritualität, die nach Satinover so charakteristisch für den Gnostizimus ist, gibt es inzwischen zahlreiche Beispiele aus dem kirchlichen Raum in Deutschland.6

Letztlich geht es um die Frage nach dem Menschen. Es geht um die Frage nach dem Menschen-, Welt und Gottesbild. Es geht um die Frage: Absoluter Mensch oder absoluter Gott? Satinover sagt, es geht um die Frage „Welcher Geist“? Um die Frage: Wo führt das alles hin? Und: Was können wir tun? (crv)

Anmerkungen

1 Paganismus: Heidentum, heidnische Anschauungen. Das Kapitel ist in diesem Text geringfügig gekürzt.

2 Satinover, J., Homosexuality and the Politics of Truth, Grand Rapids 1996, S. 245.

3 Brumlik, M, Die Gnostiker, Philo, Ber/in, 2000.

4 Girard, R., Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz, S. 226.

5 Steinhäuser, M, Homosexualität als Schöpfungserfahrung, Quell, Stuttgart 1998, S. 283.

6 Beispiele sind: Mattmann, u., Comiiig In, Spiritualität für Schwule und Lesben, mit einem Vorwort von Richard Rohr, Kösel, Münschen 2002. Oder: Barz, M et al. (Hrsg.), Göttlich lesbisch, Facetten lesbischer Existenz in der Kirche, Gütersloher Ver/ag, Gütersloh 1997.

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