Meinungs- und Redefreiheit – Grundpfeiler der Demokratie

Mats Tunehag

Aktuelle Entwicklung

Sollte man der Presse die Veröffentlichung von Karikaturen, die Muslime möglicherweise als beleidigend empfinden, verbieten? Sollten Ladenbesitzer darauf verzichten, ihren Kunden „Frohe Weihnachten“ zu wünschen? Ist es Hassrede, wenn jemand sagt, dass homosexuelles Verhalten der Bibel zufolge Sünde ist?
Geht es heute um das Recht auf freie Meinungsäußerung oder um das Recht, Unliebsames nicht hören zu müssen? Wenn Letzteres zutrifft, ist unsere Demokratie in Gefahr.

Im Oktober 2007 löste ein Werbeplakat in der Stockholmer U-Bahn eine landesweite Debatte aus. Das von der Schwedischen Evangelischen Allianz gesponserte Plakat warb dafür, die Ehe rechtlich auch weiterhin zu definieren als Bund zwischen einem Mann und einer Frau. Der Plakattext lautete einfach: „Mutter. Vater. Kinder.“ Prominente Politiker forderten daraufhin ein Verbot der Plakate. Sie argumentierten, das Plakat könne von Alleinstehenden, Geschiedenen oder homosexuell Lebenden als beleidigend empfunden werden. Manche bezeichneten die Plakate sogar als „Hassrede“.

Die vor einigen Jahren in der dänischen Zeitung Jyllandsposten veröffentlichten Mohammed-Karikaturen zeigten deutlich, dass Meinungs- und Redefreiheit heute ein Thema mit globalen Auswirkungen ist. Überall in der Welt gab es damals von Muslimen verursachte Ausschreitungen, Imame sprachen Fatwas aus, es gab Boykotte und auf dem internationalen diplomatischen Parkett wurden deutliche Worte gesprochen. Explizit und implizit wurden Forderungen nach einer Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit laut.

Pfarrer Daniel Scot musste aus Pakistan fliehen, weil man ihn der Lästerung des Islams beschuldigte. Dann aber wurde er im demokratischen, „christlichen“ Australien angeklagt, Muslime und den Islam beleidigt zu haben. Scot hatte in Australien in einem kirchlichen Seminar eine vergleichende Analyse von Islam und Christentum vorgestellt. Da er sich weigerte, seinen religiösen Standpunkt öffentlich zu widerrufen, drohten ihm Geld- und Gefängnisstrafe. Über fünf Jahre lang wurde sein Fall vor australischen Gerichten verhandelt. Erst im Juni 2007 beschloss der Rat der Muslime im australischen Bundesstaat Victoria, die Anklage gegen Scot fallen zu lassen. Drei australische Bundesstaaten verfügen über Gesetze, die – im Namen der Toleranz – keine als Kritik empfundenen Aussagen über den Islam tolerieren.
Die Anzahl der Fälle, die sich mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung beschäftigen und die in den Medien diskutiert oder vor Gericht verhandelt werden, nimmt stetig zu. Zudem gibt es in immer mehr Ländern rechtliche Veränderungen: Gesetze gegen „Hassrede“ werden eingeführt, was die Redefreiheit einschränkt.

In einer globalisierten Welt, in der sich Gesetze international immer stärker angleichen, ist es unerlässlich, die verschiedenen aktuellen Entwicklungen in den Blick zu nehmen und zu sehen, in welche Fallen – die möglicherweise uns alle betreffen – wir geraten können.

Das grundlegende Recht auf freie Meinungsäußerung

Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist etwas Grundlegendes. Es ist unverzichtbare Voraussetzung für viele andere Freiheiten und Rechte. Ohne dieses Recht gibt es weder Pressefreiheit noch das Recht auf eine offene politische Debatte, weder die freiheitliche Bekundung religiöser Überzeugungen noch den freiheitlichen Ausdruck in Kunst, Musik usw.

Naürlich müssen bei aller Befürwortung der freien Meinungsäußerung auch notwendige Einschränkungen beachtet werden. Eine absolute allgemeine Freiheit ist Anarchie. Eine absolute Redefreiheit kann unerwünschte Folgen haben. Freiheiten und Rechte müssen klar definiert und innerhalb eines bestimmten Rahmens ausgeübt werden. Der Rahmen wiederum wird von ethischen und rechtlichen Ordnungs­systemen festgelegt.
Es gibt eine Reihe von üblichen, unumstrittenen Einschränkungen der Redefreiheit. Niemand darf zur Gewalt anstiften oder staatliche oder militärische Geheimnisse preisgeben und sich dabei auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen. Auch in Bezug auf üble Nachrede/Ehrverletzung und Verleumdung gibt es Grenzen.
Doch das Recht und die Freiheit, die eigene Meinung und Überzeugung schriftlich, mündlich oder künstlerisch auszudrücken, bedeutet unweigerlich auch, dass andere nicht immer zustimmen, dass manche das Gesagte als anstößig empfinden oder sich beleidigt fühlen. Doch das liegt in der Natur der Sache. Niemand kann garantieren, dass sich nicht jemand von einer politischen, religiösen oder anderweitigen Botschaft vor den Kopf gestoßen, angegriffen, verletzt oder beleidigt fühlt. Einige sagen, Mohammed sei der Letzte der Propheten, andere widersprechen. Die einen bekunden, dass Jesus Gottes Sohn ist, andere finden das anstößig oder sogar beleidigend. Einige sprechen sich für eine Ehe für homosexuell Lebende aus, andere sind gegen die Abtreibungs­gesetze. Das Recht, seine Auffassungen frei zu äußern, ist grundlegend für eine funktionierende Demokratie, denn Demokratie beruht auf dem Recht der Bürger, unterschiedliche und voneinander abweichende Meinungen öffentlich darzulegen.

Beim Recht auf freie Meinungsäußerung steht im Mittelpunkt das Recht des Einzelnen, seine Meinung frei äußern zu können. Hauptaugenmerk des Rechtes ist also der Redner. Grundsätzlich geht es um das Recht, alles sagen zu dürfen, sogar Dinge, die nicht wahr sind, etwa, dass die Erde eine Scheibe sei.
Hier jedoch bahnt sich heute eine grundlegende Veränderung an, die besorgnis­erregend ist: die Veränderung weg vom Recht des Sprechers, etwas sagen zu dürfen, hin zu einem (neuen) Recht des Hörers, etwas Unliebsames nicht hören zu müssen. Was gehört wird und wie Gesagtes von [meist betroffenen] Einzelnen oder Gruppen verstanden und empfunden wird, einschließlich der Möglichkeit, dass betroffene Einzelne oder Gruppen sich von bestimmten Äußerungen verletzt, gekränkt oder beleidigt fühlen, steht im Mittelpunkt des neuen Rechts. Das ist eine Verschiebung vom Objektiven (was wurde gesagt?) zum Subjektiven (wie wurde es aufgenommen und empfunden?). Diese Verschiebung widerspricht grundlegenden Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit.
Diese Entwicklung ist sowohl in den Medien als auch in der Gesetzgebung in vielen Teilen der Welt zu beobachten, und oft geht es um Anliegen von Muslimen oder von homosexuell lebenden Menschen.

Beunruhigende Beispiele

Glasgow 2006: Auf Bitten eines Abgeordneten des schottischen Parlaments führte die Polizei von Strathclyde eine Prüfung der Bemerkungen des römisch-katholischen Erzbischofs von Glasgow durch. Der Erzbischof hatte bei einem Gottesdienst die Institution der Ehe verteidigt und die Einrichtung eingetragener Lebenspartnerschaften kritisiert.

Im November 2003 ermittelte die Polizei der Grafschaft Cheshire gegen Peter Forster, den Bischof von Chester. Dieser hatte in der Lokalzeitung geschrieben, dass einige Homosexuelle mit therapeutischer Hilfe eine Reorientierung zur Heterosexualität erreichen können.

2002 wurde der niederländische Politiker Pim Fortuyn ermordet, weil er bestimmte Ansichten zum Islam und zur Einwanderung von Muslimen vertrat.

2004 wurde der niederländische Filmemacher Theo van Gogh wegen der Produktion eines islamkritischen Films erstochen.

Nachdem die ehemalige niederländische Abgeordnete Ayaan Hirsi Ali die Misshandlung von Frauen in islamischen Gesellschaften kritisiert hatte, musste sie aus Sicherheitsgründen 2006 Holland verlassen.

In Italien wurde die Schriftstellerin und Journalistin Oriana Fallaci vor Gericht gestellt, weil sie geschrieben hatte: Der Islam „bringt Hass statt Liebe, Sklaverei statt Freiheit“.

In Frankreich wurde der Romanautor Michel Houellebecq vor Gericht gestellt, weil er den Islam als „die dümmste Religion“ bezeichnet hatte. Im Oktober 2002 wurde er freigesprochen.
Im britischen Nottingham sagte die Grundschule Greenwood Primary School ein weihnachtliches Krippenspiel ab, weil es sich mit dem islamischen Opferfest Eid al-Adha überschnitt.

In Scarborough strich das Yorkshire Coast College die Wörter „Weihnachten“ und „Ostern“ aus seinem Kalender, um Muslime nicht zu beleidigen.

In Glasgow wurde der Moderator einer christlichen Radiosendung nach einer Debatte zwischen einem Muslimen und einem Christen über die Frage, ob Jesus „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist, entlassen.

Im Osten von London nahm der Bezirksstadtrat von Tower Hamlets eine Umbe­nennung vor: Die Weihnachtsfeier der Mitarbeiter hieß nun nur noch „festliches Mahl“, um Muslime nicht vor den Kopf zu stoßen oder zu beleidigen.

Im Frühjahr 2010 wurde ein Prediger mittleren Alters in Wokingham in der englischen Grafschaft Cumbria festgenommen, weil er bei seinen Zuhörern „Unbehagen ausgelöst“ hatte. Er hatte gesagt, dass laut Bibel Trunkenheit und Homosexualität falsch sind.

2010 wagten es weder das schwedische noch das amerikanische Fernsehen, eine Episode von South Park [US-amerikanische Fernsehserie] auszustrahlen, in der Bezüge zum Islam vorkamen. Das Argument lautete, die Ausstrahlung sei gefährlich, man könne bedroht oder umgebracht werden.

Ebenfalls 2010 trugen Busse in Miami im US-Bundesstaat Florida Werbebanner, die für Religionsfreiheit warben und denjenigen Hilfe anboten, die den Islam verlassen wollten. Die Busgesellschaft nahm die Werbebanner schnell wieder ab mit dem Hinweis, man wolle die „Regeln des Islam nicht verletzen“.

Christliche Hoteleigentümer in Liverpool wurden verhaftet und angeklagt, weil sie in einem Gespräch über Religion ihre Auffassung zum Islam geäußert hatten. Obwohl das Ehepaar schließlich freigesprochen wurde, war das Ganze eine wirtschaftliche Katastrophe für sie und sie mussten ihr Hotel verkaufen.

55 Prozent der Muslime in Dänemark sind der Meinung, Religionskritik solle verboten werden, und 64 Prozent befürworten eine Einschränkung der Redefreiheit.

Eine gefährliche Verschiebung

Die genannten Beispiele lassen eine gefährliche Verschiebung erkennen:

  • weg vom grundlegenden Recht auf freie Meinungsäußerung hin zu einem grundlegenden Recht, etwas nicht hören zu müssen,
  • vom Redner zum Hörer,
  • von der zu Recht verbotenen „Anstiftung zur Gewalt“ zum Verbieten all dessen, was von jemandem als „ich fühle mich beleidigt, gekränkt oder verletzt“ empfunden werden kann,
  • von objektiven zu subjektiven Kriterien und Gesetzen.

Einschränkungen der freien Mei­­nungs­äußerung sind An­­griffe auf das Fundament jeder Demokratie. Verlierer sind dabei alle, einschließlich Muslime und homosexuell lebende Männer und Frauen.

Ein weiteres Beispiel: Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC), der 57 muslimische Staaten angehören, unterbreitete aufgrund der Mohammed-Karikaturen eine Resolution, die im März 2007 vom UN-Menschenrechtsrat in Genf angenommen und verabschiedet wurde.
Die Resolution spricht zwar von Schmähung und Beleidigung, doch geht es nicht um das, was rechtsstaatliche Gesetze unter übler Nachrede und Verleumdung verstehen.
Außerdem weist die Resolution gravierende Mängel auf. Erstens bezieht sie sich hauptsächlich auf den Islam und die Muslime. Zweitens macht sie die Redefreiheit vom Inhalt der Rede abhängig. Drittens beinhaltet sie einen Paradigmenwechsel: Es geht nicht mehr um individuelle Freiheiten und Rechte, sondern um den Schutz einer Gruppe und um deren vermeintliches Recht, nicht beleidigt, gekränkt oder vor den Kopf gestoßen zu werden. Viertens setzt sie voraus, dass die Wahrheit über religiöse Fragestellungen vor Gericht festgelegt werden kann und sollte (man denkt an die Inquisition).
„Diese Resolution bedroht in ernsthafter Weise das Recht des Individuums – Muslim oder Nicht-Muslim –, sich ohne Angst vor Verfolgung eine eigene religiöse Überzeugung zu bilden und danach zu leben. Die internationale Gemeinschaft muss sich zur Wehr setzen, wenn die UNO Anti-Blasphemie-Gesetze billigt und muss Resolutionen wie diese klar als das benennen, was sie in Wirklichkeit sind: eine gesetzlich abgesicherte Rechtfertigung zur Untergrabung der Religions- und Meinungsfreiheit und eine institutionalisierte Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten.1

Vier Tendenzen

Die angeführten Beispiele weisen auf vier Entwicklungen hin, die allesamt eine ernsthafte Bedrohung für die Meinungs- und Redefreiheit und damit für die Eckpfeiler von Demokratie und Menschenrechten sind.

Erstens: Die Gesetze gegen „Hassrede“. Sie verstoßen gegen ein grundlegendes Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das besagt, Gesetze müssen objektiv und berechenbar, vorhersehbar sein. Gesetze, die die Redefreiheit betreffen, müssen sich nach dem richten, was gesagt wird, nicht nach dem, was wahrgenommen oder verstanden wird. Gesetze gegen „Hassrede“ haben einen Paradigmenwechsel vollzogen: vom Objektiven zum Subjektiven, vom Vorhersagbaren zum Unvorhersagbaren.

Zweitens: Wir erleben in zunehmendem Maße Schikanen durch Polizei, Arbeitgeber und Kommunen. Im Oktober 2009 ermittelte die englische Polizei gegen die Großmutter Pauline Howe wegen „homophoben Hasses“, weil sie Einwände gegen eine Homosexuellenparade in ihrer Heimatstadt Norwich erhoben hatte.

Ebenfalls in Großbritannien wurden 2005 die Rentner Joe und Helen Roberts von der Polizei verhört, weil sie sich dagegen ausgesprochen hatten, dass der örtliche Gemeinderat Steuergelder für Projekte zur Förderung von „Schwulenrechten“ ausgibt.

2000 Jahre lang hat die Kirche gelehrt, dass Sex außerhalb der Ehe zwischen Mann und Frau Sünde ist. Im Sommer 2010 jedoch wurde gegen die spanische Mediengruppe Intereconomia eine Geldstrafe von 100.000 Euro verhängt, weil sie im Fernsehen Werbespots zur Förderung der traditionellen Familie ausgestrahlt hatte. Das wurde als hasserfüllte Handlung gegen Homosexuelle eingestuft.

Drittens: Eine zunehmende Anzahl von Drohungen. Wir haben die Drohungen gegen Ayaan Hirsi Ali genannt; bekannt sind die Morddrohungen und -versuche gegen die dänischen Karikaturisten.

Im Mai 2010 wurde der schwedische Künstler Lars Vilks an der Universität von Uppsala von Muslimen tätlich angegriffen, während er eine Vorlesung zum Thema freie Meinungsäußerung hielt und dabei Bilder des Propheten Mohammed zeigte.
Meinungs- und Redefreiheit sind auch dazu da, Ansichten und Ausdrucksformen zu schützen, die provozieren und schockieren können. Ebenso beinhaltet Redefreiheit natürlich das Recht, Lars Vilks und das, was er tat, in Frage zu stellen. Die Angriffe und Morddrohungen gegen Vilks sind nur ein Beispiel für eine wachsende Zahl ähnlicher Vorfälle, die die Demokratie bedrohen.

Viertens: Die zunehmende Selbstzensur. Redefreiheit muss genutzt werden, sonst stirbt sie. Doch immer mehr Nachrichtensendungen, Politiker und gewöhnliche Bürger unterwerfen sich einer Selbstzensur. Dadurch hat sich der Spielraum der Redefreiheit bereits verkleinert, obwohl Gesetze möglicherweise gar nicht geändert wurden. Die schwedischen und amerikanischen Fernsehsender, die sich im Hinblick auf South Park und den Islam selbst zensierten, sind ein Beispiel.

Was sind Menschenrechte?

Der Begriff der Menschenrechte wird heute von vielen gebraucht. Doch bedeutet das nicht, dass alle dasselbe meinen. Es gibt zwei globale Organisationen, die jeweils ihre eigene Menschenrechtserklärung haben: Die Vereinten Nationen (UN) und die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC).

Die Vereinten Nationen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet; 1948 wurde die UN-Menschenrechtserklärung verabschiedet. Ihre Grundlage ist die jüdisch-christliche Ethik.

Die OIC wurde 1969 gegründet. Sie besteht aus 57 Mitgliedsstaaten und repräsentiert damit jeden fünften Bewohner der Erde. 1990 hat die OIC ihre eigene Menschenrechtserklärung verabschiedet, die Kairoer Erklärung der Menschenrechte. [Ihre alleinige Grundlage ist die Scharia.] Sie behauptet, dass islamische Menschenrechte anders sind. Zwar haben die islamischen Staaten auch die UN-Menschenrechtserklärung unterzeichnet, in der Praxis halten sie sich aber eher an die islamische Version.

In der Kairoer Erklärung der Menschenrechte heißt es, dass sich alle 57 islamischen Staaten an sie halten sollen. Weiter wird gesagt, dass sie sich auf die „Umma“ bezieht, also auf alle Muslime weltweit, auch auf die in nicht-muslimischen Ländern. Das ist merkwürdig, denn es ist Standard, dass Nationen [nicht Einzelpersonen] internationale Verträge und Konventionen unterzeichnen und sich verpflichten, sie einzuhalten. Die Kairoer Erklärung hebt aber nationale Grenzen und Gesetzgebung indirekt auf, indem sie sagt, dass die auf der Scharia gründende Interpretation der Menschenrechte für alle Muslime gelte, unabhängig davon, in welchem Land sie leben oder welche Staatsbürgerschaft sie haben. Mit der Kairoer Erklärung wird die Scharia als über allen anderen nationalen Gesetzgebungen stehend beschrieben – in jedem Fall, an jedem Ort.

Immer wieder – in der Präambel, in verschiedenen Artikeln, am Schluss – stellt die Kairoer Erklärung fest, dass alle ihre Bestimmungen der Scharia unterworfen sind und im Licht von Koran und islamischer Gesetzgebung zu interpretieren sind. So kommen die Begriffe „Freiheit“ und „Rechte“ zwar vor, jedoch nur in der Einschränkung, in der Koran und islamische Gesetzgebung sie zulassen.

Artikel 10 der Kairoer Erklärung beschäftigt sich mit der Religionsfreiheit. Er versichert, dass man auf niemanden bezüglich seiner Religionszugehörigkeit Druck ausüben darf – doch auch dieser Satz ist der Scharia unterworfen. Menschen, die sich vom Islam abwenden, sind realen Gefahren ausgesetzt, nicht wenige von ihnen wurden bestraft, manche sogar mit dem Tod.
Die UN-Menschenrechtserklärung äußert sich in Artikel 18 zur Religionsfreiheit und nennt drei wichtige Aspekte: Das Recht, einen Glauben zu haben, ihn zu bekennen und ihn zu wechseln.
Doch in Ländern, in denen der Islam maßgeblichen Einfluss ausübt, gelten deutliche Einschränkungen, was das Bekennen des eigenen Glaubens und den Reli­gionswechsel angeht. Christen ist es meist gestattet, zum Islam zu konvertieren, wenn aber ein Muslim den Islam verlässt, ist das illegal und gefährlich für ihn.

Über die Redefreiheit äußert sich die Kairoer Erklärung der Menschenrechte wie folgt: „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, soweit er damit nicht die Grundsätze der Scharia verletzt. Jeder hat das Recht, in Übereinstimmung mit den Normen der islamischen Sharia das Gute zu verbreiten und vor Unrecht und dem Bösen zu warnen.“ Meinungs- und Redefreiheit werden also durch die Scharia interpretiert und von ihr begrenzt.

Zahlreiche Untersuchungen, in denen es um unterschiedliche Freiheiten geht, zeigen, dass Bürger in muslimischen Ländern an Unterdrückung leiden. Wenn es um Politik, Medien, Religion, Gleichstellung der Geschlechter usw. geht, werden ihnen grundlegende Menschenrechte vorenthalten. Man redet zwar von Menschenrechten, aber ihre islamische Version führt letztlich zum Gegenteil, weil die Scharia nach muslimischem Glauben und muslimischer Praxis über allem anderen steht. Das betrifft auch die Meinungs- und Religionsfreiheit.

Drei Voraussetzungen

Wenn Religionsfreiheit, Versammlungs- und Meinungsfreiheit funktionieren sollen, müssen mindestens drei Voraussetzungen erfüllt sein:

Erstens: Die Gesetze müssen gerecht sein, es braucht eine angemessene Strafverfolgung.

Zweitens: Die staatlichen Organe müssen gewillt und in der Lage sein, den Schutz dieser Rechte und Freiheiten zu sichern.

Drittens: Der einzelne Bürger sowie die gesellschaftlichen Gruppen müssen diesen Rechten und Freiheiten zustimmen, sonst können sie unterlaufen werden. Das bedeutet auch, anderen zu erlauben, etwas zu glauben und zum Ausdruck zu bringen, was einem selbst missfällt, und ihnen auch Versammlungsfreiheit zuzugestehen.

Albert Mohler äußert sich in seinem Artikel The Culture of Offendedness? („Die Kultur des Gekränktseins?“) zum Konzept der „Hassrede“. Zu Recht hebt er hervor, dass es nicht möglich ist, eine freie und demokratische Gesellschaft zu haben und gleichzeitig zu garantieren, dass sich niemals jemand von der Meinungsäußerung eines anderen gekränkt oder beleidigt fühlt: „Das Konzept einer offenen Bürgergesellschaft geht von der sehr realen Möglichkeit aus, dass der Einzelne jederzeit von einem anderen aus der Gesellschaft gekränkt werden kann. Eine Zivilisation gedeiht, wenn Einzelpersonen und Gruppen sich bemühen, vermeidbare Beleidigungen auf ein Minimum zu beschränken. Zugleich müssen sie jedoch anerkennen, dass eine tatsächliche oder auch nur empfundene Beleidigung oder Kränkung der Preis ist, den eine Gesellschaft zu zahlen hat, wenn sie das Recht auf ungehinderten Gedankenaustausch und auf freie Meinungsäußerung haben will.“

1989 erließ der iranische Religionsführer Ajatollah Khomeini ein Todesurteil gegen den Schriftsteller Salman Rushdie. Er warf Rushdie vor, in seinem Buch Die satanischen Verse sich der Blasphemie gegen den Islam schuldig gemacht zu haben. Khomeini rief die Muslime weltweit auf, das Todesurteil zu vollstrecken. Rushdie musste untertauchen. Rushdie, der besser als viele andere um die Bedeutung der Redefreiheit und ihre Bedrohung weiß, schreibt: „Die Vorstellung, es ließe sich eine freie Gesellschaft konstruieren, in der keiner je gekränkt wird oder sich vor den Kopf gestoßen oder beleidigt fühlt, ist absurd. Ebenso absurd ist die Auffassung, die Menschen sollten das Recht haben, den Gesetzgeber aufzufordern, sie vor Kränkungen oder Beleidigungen zu schützen. Es muss eine grundlegende Entscheidung getroffen werden: Wollen wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben oder nicht?

Demokratie ist kein Kaffeekränzchen, bei dem Menschen herumsitzen und höfliche Konversation pflegen. In Demokratien kann es dazu kommen, dass der eine sich in höchstem Maß über den anderen aufregt. Man streitet heftig miteinander um die jeweilige Position. Menschen haben das grundlegende Recht, ein Streitgespräch bis zu dem zur Sache gehörigen Punkt zu führen, an dem sich jemand von dem Gesagten beleidigt fühlt. Es ist kein Kunststück, die freie Meinungsäußerung einer Person zu unterstützen, mit der man übereinstimmt oder deren Auffassung einem gleichgültig ist. Die Verteidigung der Meinungsfreiheit beginnt da, wo Menschen etwas sagen, was man selbst nicht ausstehen kann. Wer das Recht von Menschen, sich entsprechend zu äußern, nicht verteidigen kann, glaubt nicht an Meinungsfreiheit.“

Ausblick

Meinungs- und Redefreiheit bedeutet auch, Meinungen, die uns Unbehagen bereiten, einen Raum zuzugestehen. Davon profitieren die politisch Inkorrekten, die Minderheiten, die Unangepassten, aber auch der „Durchschnittsbürger“. Sie ist Grundlage für politische Debatten und politische Arbeit.

Man kann nicht Freiheit haben und zugleich die Garantie, dass sich niemand jemals beleidigt oder verletzt fühlt. Eine andere Garantie gibt es hingegen: Wird das Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten, ist die Demokratie in Gefahr.

Redefreiheit ist zudem eine wichtige Waffe im Kampf gegen Diktaturen. Sam Ericson, Präsident und Gründer von Advocates International, hält fest: „Für einen Diktator… gibt es keine größere Bedrohung als das Recht auf freie Meinungsäußerung. Den Mächtigen gegenüber die Wahrheit auszusprechen, ist eine Bedrohung für alle, die sich auf dem Meinungsmarkt ein Monopol sichern wollen. Einsicht in das, was Wahrheit ist, hat im Lauf der Geschichte immer wieder Diktatoren vom Sockel gestürzt.“

Demokratie, Menschenrechte und Freiheit sind keine Ziele, die sich von selbst einstellen. Wir dürfen das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht als Selbstverständlichkeit nehmen. Es kann verspielt werden.

Die Angriffe auf die Redefreiheit in Europa und anderswo geben Anlass zur Sorge. Wir müssen uns Schikanen, Drohungen, Selbstzensur und den „Hassrede-Gesetzen“ widersetzen. Wir müssen uns für das Recht jedes Einzelnen, seine Meinung schriftlich, mündlich und in Bildern auszudrücken, einsetzen.

Es gibt keine Gewinner, sondern nur Verlierer, wenn unsere Gesellschaft sich weiterhin in Richtung auf das „Recht, etwas nicht hören zu müssen“ bewegt.
Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Dreh- und Angelpunkt der Demokratie und unverzichtbarer Bestandteil der Menschenrechte. Wir sollten nicht damit spielen.

Anmerkungen

1 Tina Ramirez, Mitarbeiterin des US-Abgeordneten Trent Franks

Von

  • Mats Tunehag

    Schwedischer Berater, Redner und Autor. Globaler Sprecher der Weltweiten Evangelischen Allianz zum Thema Religionsfreiheit und Senior Associate on Business as Mission für die Lausanner Bewegung und die World Evangelical Alliance Mission Commission. Außerdem Mitglied des Global Council of Advocates International, einem weltweiten Netzwerk, das mit 30.000 Anwälten in über 120 Ländern vertreten ist.

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