Die Bedeutung der sexuellen Kräfte

J. Budziszewski

Dort wirst du weisen können,
was ich erlechzte, dort in deinem Scheine;
und gleich wirst du vergönnen,
o Leben, du das meine,
gleich, was du vordem gönntest, dieses eine.
Johannes vom Kreuz, Der geistliche Gesang

Mitternacht. Shelly trinkt sich Mut an, um mit dem fremden Mann neben ihr an der Bar nach Hause zu gehen. Ein Uhr. Steven lädt pornographische Bilder von Kindern aus dem Netz herunter. Zwei Uhr. Marjorie, die jeden Freitag mit einem anderen Mann ins Bett zu gehen pflegte, säuft und übergibt sich seit drei Stunden. Drei Uhr. Pablo starrt in der Dunkelheit an die Decke und überlegt, wie er seine Freundin dazu bringt, abzutreiben. Vier Uhr. Nach einer durchzechten Nacht nimmt Jesse erneut einen Mann mit nach Hause, verschweigt aber, dass er auf eine unheilbare Geschlechtskrankheit positiv getestet worden ist. Fünf Uhr. Lisa sitzt im Bad. Mit einem Rasiermesser schneidet sie sich sachte, aber zwanghaft. Sie will sich nicht umbringen, versteht jedoch nicht, weshalb sie es tut. Sie tut es oft.

Das ist nicht das, was meine Generation erwartet hatte, als sie die sexuelle Revolution ausrief. Inzwischen ist das Spiel kein Vergnügen mehr. Selbst eingefleischte Anhänger dieser versklavenden Befreiung zeigen Anzeichen von Erschöpfung und Verwirrung. In ihrem Buch Promiscuities berichtet Naomi Wolf, dass ihr, nachdem sie im Alter von 15 Jahren ihre Jungfräulichkeit verlor, „etwas Wichtiges fehlte“1. Was ihr fehlte, war anscheinend das Gefühl, dass irgendetwas von Bedeutung sein könnte.

In ihrem Buch Last Night in Paradise denkt Katie Roiphe scharfsinnig darüber nach, was an der Freiheit falsch sein könnte: „Es ist nicht das Fehlen von Regeln, dieses schwindelerregende Gefühl, dass wir tun können, was immer wir möchten, sondern die plötzliche Erkenntnis, dass nichts von dem, was wir tun, von Belang ist.“2 In dem verzweifelten Versuch, ihrem Tun Bedeutung zu verleihen, spielen einige junge Homosexuelle mit dem Tod, indem sie gezielt Partner aussuchen, die an einer tödlichen Krankheit leiden; das nennt man „Pozzen“.3 Am anderen Ende des Extrems siechen andere im Schatten der Revolution dahin und spielen mit Enthaltsamkeit; einer Enthaltsamkeit, die weniger aus Überlegungen der Reinheit oder Prinzipien resultiert als aus Langeweile, Angst und Abscheu. Ausgerechnet in Hollywood ist es Mode geworden, dem Buddhismus zu huldigen, einer Lehre, die die Heilung aller Leiden im Beenden der Begierde und die Heilung von der Begierde in der Auslöschung findet.

Apropos Erschöpfung, lassen Sie mich etwas über meine Studenten erzählen. Hätte ich in den 80er Jahren in meinen Vorlesungen angedeutet, es gäbe womöglich ein Problem mit der sexuellen Befreiung, hätten sie gesagt, es sei doch alles gut – wovon sprechen Sie denn? Wenn ich heute Fragen stelle, fallen die Antworten anders aus. Sie leben zwar weiterhin sexuell freizügig, zuweilen reden sie auch so, aber der Zauber ist verflogen. Sie hören sich inzwischen wie die müde gewordenen Kinder der dritten Generation von Maoisten an. Meine Generation hat zwar die sexuelle Revolution ausgerufen, aber ihre Generation bezahlt den Preis.

Ich spreche nicht nur vom Preis größerer gesundheitlicher Beeinträchtigung, sondern von einem, der lebenszerstörend ist. Zu Beginn der Revolution musste ein Hausarzt zwei oder drei Geschlechtskrankheiten behandeln, nun sind es eher zwei bis drei Dutzend. Es geht mir aber nicht um die zerrüttete Gesundheit. Denken Sie beispielsweise an eine zerrüttete Kindheit. Wie ist es, wenn eine Familie zerbricht, weil Papa eine Neue gefunden hat, um dann nochmals auseinander zu brechen, weil Mama auch einen neuen Partner hat? Wie ist es, von einem Stiefelternteil zum Nächsten und Übernächsten gereicht zu werden? Wie ist es, mit dem Wissen aufzuwachsen, dass du eigentlich eine Schwester gehabt hättest, sie aber abgetrieben wurde?

Ein junger Mann äußerte in einer meiner Vorlesungen, dass er sich danach sehne zu heiraten und für immer mit dieser Frau verheiratet zu bleiben. Weil aber seine Eltern dazu nicht in der Lage waren, hätte er nun Angst, überhaupt zu heiraten. Auch bei Frauen sind Anzeichen von Vermeidung zu erkennen, aber diese sind viel widersprüchlicher. Laut einer Umfrage des Independent Women‘s Forum sagen 83 Prozent der befragten Studentinnen, die Ehe sei für sie ein wichtiges Ziel. Doch 40 Prozent von ihnen sind sexuell aktiv, ohne überhaupt eine Beziehung anzustreben.4 Zeigt sich hier womöglich eine leichte kognitive Dissonanz? Ein solches sexuelles Verhalten führt am allerwenigsten zu einer Ehe. Die Ideologie des unverbindlichen Geschlechtsverkehrs betrachtet Sex lediglich als etwas, wodurch man Druck abbauen oder sich entspannen kann. Man hat Freunde, mit denen man sich trifft, und andere, um Sex zu haben; das wird „Freunde mit gewissen Vorzügen“ [friends with benefits] genannt. Nach dem Motto: Was dein Körper tut, steht in keinem Zusammenhang mit deinem Herzen. Glauben Sie es nicht! Dieselbe Umfrage berichtet auch, dass der Geschlechtsverkehr häufig dann stattfindet, wenn beide Partner trinken oder betrunken sind. Der Grund liegt auf der Hand: Nachdem man sich eine Weile so verhalten hat, muss man vermutlich betrunken sein, um weiterhin so mit sich umgehen zu können.

Tatsache ist, dass wir nicht für unverbindlichen Sex geschaffen sind. Unsere Herzen und unsere Körper sind so beschaffen, dass sie zusammenwirken. Aber das wissen wir doch eigentlich. Von einem Schriftsteller, der Teenager, die unverbindlichen Sex hatten, interviewte, stammt folgende, vielsagende Anekdote. Melissa, eine junge Frau, erzählte ihm: „Ich habe Freunde, die meine emotionalen Bedürfnisse stillen. Das brauche ich also nicht von dem Typen, mit dem ich Sex habe.“ Und doch, am Tag des Interviews „war Melissa schlecht gelaunt. Ihr ‚Freund mit gewissen Vorzügen‘ hatte mit ihr Schluss gemacht. ‚Wie ist das überhaupt möglich?‘, sagte sie, während sie mit vorgebeugten Schultern auf ihrem Platz im Restaurant saß. ‚Bedeutet es nicht, einen Freund mit gewissen Vorzügen zu haben, dass er nicht mit dir Schluss macht und man so auch nicht verletzt wird?‘“5

Lassen wir uns nicht täuschen: Wenn ich sage, dass wir nicht für schnellen Sex gedacht sind, rede ich nicht nur über Frauen. Eine Frau bricht am nächsten Morgen womöglich eher in Tränen aus; wenn ein Mann, mit dem sie geschlafen hat, hinterher nie wieder anruft, ist das tatsächlich nicht leicht. Ein Mann bezahlt aber ebenfalls einen Preis. Er denkt womöglich, dass er seine Frauenbeziehungen generell instrumentalisieren kann, aber, sobald er der richtigen Frau begegnet, noch zu einer romantischen Intimität fähig ist. Tut mir leid, mein Freund! So geht es nicht. Sex ist wie das Anbringen eines Klebebandes, Promiskuität ist wie das Abreißen dieses Klebebandes. Wenn man das Band abreißt, abreißt und nochmals abreißt, klebt es irgendwann nicht mehr.

Die Zerstörung der Bindungsfähigkeit trägt sehr wahrscheinlich zu einem weiteren, noch häufigeren sozialen Problem bei, zum sogenannten Peter-Pan-Syndrom. Männer in ihren Vierzigern, die 20-jährige Kinder haben, reden wie Teenager: „Ich fühle mich immer noch nicht erwachsen“. Sie bezeichnen sich selbst nicht als Männer, sondern einfach als „Kerle“.

Auf indirektem Wege habe ich hier das Konzept des Naturrechts vorgestellt. Auch wenn die Tradition des Naturrechts vielen heute unbekannt ist, war es dennoch über 2300 Jahre hinweg der Grundpfeiler des westlichen ethischen Denkens, und es scheint gegenwärtig eine Renaissance zu erfahren. Das Grundkonzept beruht auf Sinn und Zweck. Wie erwähnt, sind unsere Körper und Herzen nicht für unverbindlichen Sex gemacht, sondern dazu, zusammenzuarbeiten. Uns Menschen liegt ein Plan, ein Design zugrunde, im weitesten Sinn des Wortes: nicht nur ein technischer Plan (dieser Teil gehört hierhin und dieser Teil dorthin), sondern um zu bestimmen, welcher Wesensart wir sind. Da das Design nicht bloß biologischer, sondern auch emotionaler, geistiger und geistlicher Art ist, ist die Sprache der Naturgesetze, des natürlichen Designs, des natürlichen Sinns und Zwecks fast gleich, ja häufig austauschbar. Aber nur manche Lebensweisen stimmen mit unserer Machart überein, andere nicht.

Naturrechtlich gesehen besteht das Problem der westlichen Sexualität im 21. Jahrhundert darin, dass sie die im sexuellen Design des Menschen verwurzelten Prinzipien und den darin innewohnenden Sinn missachtet. Ein Mediziner würde dabei das Missachten des biologischen Designs betonen, wie ungewollte Schwangerschaften oder sexuell übertragbare Geschlechtskrankheiten. Ein Naturrechtsphilosoph wie ich spräche wahrscheinlich eine andere Seite des Designs an, in dem er auf Frauen verweist, die weinend aufwachen, und auf Männer, die Angst haben, erwachsen zu werden und zu heiraten. Aber diese beiden Seiten der menschlichen Sexualität sind untrennbar miteinander verbunden und müssen auch so betrachtet werden.

Was ist also der eingebaute Sinn und Zweck menschlicher Sexualität? Und wie sind sie miteinander in Einklang zu bringen? Wozu dient die sexuelle Kraft? Was bedeutet sie? Ich werde diese Fragen gleich beantworten; zuvor muss ich aber auf drei Einwände eingehen, die unausweichlich kommen werden.

Der erste Einwand ist, es sei unsinnig, über einen natürlichen Sinn und Zweck zu reden, weil wir einen solchen bloß annehmen. Dieser Gegenmeinung zufolge sind Sinn und Zweck keine natürlichen Entitäten, sie sind überhaupt nicht in der Sache selbst zu finden, sondern nur in der Vorstellung des Betrachters. Stimmt das? Sehen wir uns zum Beispiel die Lungen an. Denken wir es uns nur aus, wenn wir sagen, dass ihr Zweck darin besteht, unser Blut mit Sauerstoff zu versorgen? Natürlich nicht. Den Zweck der Sauerstoffversorgung hat sich der Betrachter nicht ausgedacht; sie ist Sinn und Zweck der Lungen. Es gibt keinen anderen Grund, weshalb wir Lungen haben sollten. Wäre ein junger Mann vor allem daran interessiert, seine Lungen zum Klebstoffschnüffeln zu nutzen, um einen Rausch zu bekommen; wie würden Sie über mich denken, wenn ich sagen würde: „Das ist ja sehr interessant! Meine Lungen sind anscheinend dafür da, um mein Blut mit Sauerstoff zu versorgen, aber der Zweck seiner Lungen ist es, einen Rausch zu bekommen?“ Sie würden mich zu Recht für verrückt erklären. Das Schnüffeln von Klebstoff verändert den Zweck seiner Lungen nicht, er gefährdet ihn nur. Auch die Eigenschaften anderer Teile unseres Designs können genauso bestimmt werden. Der Zweck der Augen ist das Sehen; der des Herzens ist das Pumpen des Blutes; der Zweck des Daumens ist es, gemeinsam mit den gegenüberliegenden Fingern zu greifen; sich ärgern zu können dient u.a. dazu, gefährdete Güter zu schützen, und so weiter. Wenn Zweck und Sinn der anderen Fähigkeiten offensichtlich sind, haben wir keinen Grund anzunehmen, dass wir Sinn und Zweck der sexuellen Kräfte nicht herausfinden könnten. Natürliche Funktion und persönliche Bedeutsamkeit sind einander nicht wesensfremd. Sie sind verbunden. In einer logischen Art des Denkens erweisen sie sich als unterschiedliche Blickrichtungen auf den selben Gegenstand.

Der zweite Einwand besagt, dass es bedeutungslos ist, ob man nun den Sinn und Zweck der sexuellen Kräfte feststellen kann oder nicht; denn ein Ist beinhaltet noch kein Soll. Auch dieser Einwand ist falsch. Wenn der Augen Zweck das Sehen ist, dann sind Augen, die gut sehen, gute und welche, die schlecht sehen, schlechte Augen. Eingedenk ihres Zweckes bedeutet dies für die Augen, gut zu sein. Gutes ist ferner anzustreben; die Angemessenheit dieses Strebens bestimmt, was es für irgendetwas heißt, gut zu sein. Deshalb ist es angemessen, aus schlechten möglichst gute Augen zu machen. Sollte es tatsächlich unmöglich sein, ein Sollen aus dem Sein des menschlichen Designs abzuleiten, würden weder ärztliche Maßnahmen noch Gesundheitsaufklärung sinnvoll sein. Es sei an den Klebstoffschnüffler erinnert. Was würden wir ihm raten? Ist der Zweck seiner Lungen irrelevant? Sollten wir ihm sagen: „Schnüffel so viel du willst, denn das Ist deutet nicht auf ein Soll hin“? Natürlich nicht; vielmehr sollten wir ihm raten, damit aufzuhören. Wir sollten das Ist unserer Geschöpflichkeit achten. Nichts in uns sollte in einer Weise gebraucht werden, die den innewohnenden Sinn und Zweck missachtet.

Der dritte Einwand lautet, ich würde nicht über naturgegebene Zwecke reden, sondern nur von natürlichen Funktionen; und dass ich den Dingen ihre geistige Qualität erst zuschriebe. Das tue ich aber nicht. Der Begriff „Zweck“ bedeutet, dass etwas angeordnet oder auf ein Ziel ausgerichtet ist. Eine solche Anordnung ist in einer Art in den Dingen, in einer anderen Art in unserem Verstand und in einer ganz eigenen Art und Weise in den Gedanken Gottes vorhanden. Falls Sie sich an diesem dritten Aspekt stören, so denken Sie nur über die ersten beiden nach. Der Modus, in dem ein Zweck in Dingen vorhanden ist, ist ein anderer als der Modus in unserem Denken, denn ein Ding versteht die Materie nicht, unser Verstand aber schon. Der Begriff „Funktion“ bezeichnet schlicht den Modus, in welchem ein Zweck in Dingen im Gegensatz zum Verstand vorhanden ist. Keiner, der bei gesundem Menschenverstand ist, würde behaupten, dass die Augen wissen, dass der Zweck ihres Daseins das Sehen ist. Und doch ist ihr Zweck das Sehen. Das genügt als Antwort auf diesen Einwand.

Aber es gibt noch eines, was gesagt werden muss. Die Zwecke unserer Körper und die Zwecke unseres Geistes müssen in Einklang stehen, weil wir verbundene Wesen sind. Wir sind nicht nur Leib oder nur Geist, sondern Geist und Leib vereint, Leib gewordener Geist und personifizierter Leib. Welchen Sinn ergäbe ein Krieg zwischen meinem Geist und meinem Leib? Sollte ich mir mein Auge ausreißen und jammern: Sehen ist nicht mein Zweck, es ist nur eine Funktion, es hat nichts mit meinem wahren Selbst zu tun? Meine Augen sind ein Teil meines wahren Selbst, ein Teil meiner Leib-Seele-Einheit. Genauso ist es mit allen anderen Dingen, nicht nur mit Augen und Herz, sondern auch mit den sexuellen Kräften.

Was ist nun der natürliche Sinn und Zweck der sexuellen Kräfte? Einer ist Fortpflanzung; das Schaffen und Umsorgen neuen Lebens, die Gründung von Familien, in denen Kinder Vater und Mutter haben. Der andere ist Vereinigung; die gegenseitige und völlige Hingabe und die Annahme von zwei gegensätzlichen, sich ergänzenden Ichs in ihrer Gesamtheit von Leib und Seele. Diese beiden Bedeutungen sind so fest aufeinander bezogen, dass ganz gleich, wo wir beginnen, wir stets beim anderen landen.

Warum ausgerechnet diese beiden Zwecke? Warum wird nicht einfach gesagt, dass der Sinn und Zweck der sexuellen Kräfte in der Lust, im Genuss liegt? Gewiss, Geschlechtsverkehr ist lustvoll; das ist aber kein besonderes Erkennungsmerkmal. In vielfältiger Art und Weise ist das freiwillige Ausüben jeglicher Kräfte oder Fähigkeiten mit Genuss verbunden. Es bereitet Genuss, zu essen, Genuss, zu atmen, ja sogar die Beinmuskulatur anzuspannen. Problematisch daran ist, dass das Essen lustvoll sein kann, selbst wenn man zu viel isst; dass Atmen Genuss bereitet, selbst wenn man Klebstoff schnüffelt; die Beinmuskeln anzuspannen kann einem Freude bereiten, selbst wenn man einen Hund tritt. Um zu ermessen, wann es gut ist, etwas zu genießen, genügt es nicht, festzustellen, dass es Lust bereitet. Nehmen wir die Analogie zwischen Sex und Essen. Der Zweck des Essens ist Nahrungsaufnahme, aber Essen ist auch ein Genuss. Würden wir sagen, dass der Zweck des Essens der Genuss ist, hieße es, dass alles, was wir mit Genuss essen, gut ist, egal ob uns dieses Essen ernährt oder nicht. Von den alten Römern wird berichtet, dass sie so dachten. Um den Genuss ihrer Festgelage zu verlängern, erbrachen sie sich zwischen den Gängen. Ich hoffe, es ist nicht schwer zu erkennen, dass ein solches Verhalten fehlgeleitet ist.

Verallgemeinernd kann gesagt werden, dass, auch wenn wir Lust am Ausüben unserer sexuellen Kräfte haben, Lust nicht deren Sinn und Zweck ist; sie gibt uns lediglich einen Beweggrund und einen gefährlichen noch dazu, welcher sich zeitweise im Konflikt mit dem wahren Zweck befinden mag und uns in die falsche Richtung weist. Wenn wir die Lust als den Zweck des Geschlechtsverkehrs betrachten, ist es so, als ob wir unseren Körper lediglich benutzen, um angenehme Empfindungen an unser Gehirn zu senden. Die Kräfte sind aber von unschätzbar größerer Würde als das, denn sie sind Teil von dem, was wir sind.

Nun denn, beginnen wir mit der Fortpflanzung. Bevor der Zweck von irgendetwas (nennen wir es P) das Verursachen von irgendetwas Anderem (nennen wir dies Q) sein kann, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein, wobei die Fortpflanzung beide Bedingungen erfüllt.6 Erstens muss es so sein, dass P Q verursacht. Das ist gegeben, denn die sexuellen Kräfte ermöglichen die Fortpflanzung. Zweitens muss der Kausalzusammenhang von P zu Q ein Teil der Erklärung sein, warum es P überhaupt gibt. Fortpflanzung erfüllt auch diese Bedingung. Ohne den Zusammenhang zwischen sexuellen Kräften und neuem Leben würden alle Erklärungen dafür, warum wir sexuelle Kräfte haben, jämmerlich unvollständig bleiben. Selbst der leidenschaflichste Darwinist würde dem vermutlich zustimmen. (Übrigens: Wer sich Sorgen um eine Bevölkerungsexplosion macht, kann damit aufhören. In den Industrieländern beträgt die Geburtenrate 0,7 und verringert sich ständig. Das hat zur Folge, dass die nächste Generation zahlenmäßig nur 70% der jetzigen Generation ausmachen wird. Demografen realisieren bereits, dass die drohende Gefahr nicht in der Explosion, sondern in der Implosion der Bevölkerung liegt.)7

Wenn die Fortpflanzungsrelevanz gegeben ist, folgt daraus die Vereinigung. Mit uns verhält es sich nicht wie mit Guppys, die nur einen Augenblick kooperieren8. Die Fortpflanzung beim Menschen benötigt eine dauerhafte Partnerschaft zwischen zwei Menschen, einem Mann und einer Frau, die zwar verschieden sind, aber sich gerade dadurch ergänzen und ausgleichen. Vereinigung und Einheit sind somit charakteristisch für die Art der menschlichen Fortpflanzung. Ein Elternteil von jedem Geschlecht ist erforderlich, um ein Kind entstehen zu lassen, es zu erziehen und zu lehren. Zur Entstehung des Kindes sind beide notwendig; die Frau stellt das Ei zur Verfügung, der Mann befruchtet es, damit es in ihr heranwachsen kann. Beide werden zur Erziehung gebraucht; der Mann ist eher fähig, es zu beschützen, und die Frau, es zu ernähren. Beide werden gebraucht, um es zu lehren; denn es braucht ein Vorbild des eigenen und des anderen Geschlechts und ein Vorbild der Beziehung zwischen beiden. Mutter und Vater sind gemeinsam unersetzlich. Ihre in der Fortpflanzung beginnende Partnerschaft setzt sich selbst nach dem Erwachsenwerden der Kinder fort, weil die Kinder Rat und Tat ihrer Eltern brauchen, um eine eigene Familie zu gründen.

Die Soziologen Sara S. McLanahan und Gary Sandefur merken an, „wenn wir gebeten würden, ein System zu entwerfen, das mit Sicherheit die grundlegenden Bedürfnisse von Kindern befriedigt, würden wir uns vermutlich etwas ziemlich Ähnliches wie das Zwei-Eltern-Ideal ausdenken.“9 Gewiss, denn dazu ist das Modell entworfen, allerdings nicht von uns. René König, ein anderer Soziologe, erklärt, dass Kinder, besonders die kleinen, weniger in Waisenhäusern gedeihen als in einer Durchschnittsfamilie, selbst wenn die Einrichtungen so familiär wie möglich sind und sie – in den Augen der Soziologen – bessere Werte in jeder messbaren Hinsicht als eine Durchschnittsfamilie erzielen: hygienisch, medizinisch, psychologisch und pädagogisch.10 Schlicht deshalb, weil die Einheit der Gatten das Wesen unserer Fortpflanzung ausmacht. Ohne diese Einheit wäre kaum zu erwarten, dass sich fortpflanzende Gemeinschaften als so dauerhaft erweisen, dass daraus solide und stabile Familien erwachsen.

Wie erstaunlich ist doch diese gegenseitige Selbsthingabe. Ein neues Menschenleben hätte auch asexuell entstehen können, wie bei Hefe oder Amöben. Es hätte sexuell, aber nicht in Vereinigung entstehen können, wie bei den bereits erwähnten Guppys. Oder gar durch eine lebenslange Paarbildung ohne die Hingabe des Selbst, wie bei einigen Vogelarten. Aber dem ist nicht so; für uns bedeutet der Sex etwas anderes. Neben dem Potenzial zur Fortpflanzung, – wegen des Potenzials zur Fortpflanzung – trägt er auch das Potenzial für eine starke und eindeutige Form menschlicher Liebe in sich. Darum erschüttert uns Sex bis ins Mark. Darum sagt man: „Du wirst nie wieder so sein wie vorher.“

Die vereinigende Bedeutung von Sex ist so wichtig, dass der Argumentationsstrang auch umgekehrt funktioniert. Statt mit dem Zweck der Fortpflanzung zu beginnen und zu überlegen, wie er mit der Vereinigung verbunden ist, kann man beim vereinigenden Zweck von Sex ansetzen, um dann zu überlegen, wie er mit der Fortpflanzung zusammenhängt. Warum ist das so? Weil die Bedeutung der Einheit untrennbar mit den Kräften verbunden ist, die die Vereinigung herbeiführen. Wodurch vereinigen wir uns? Durch einen Akt, der intrinsisch offen für die Entstehung neuen Lebens ist. Jedes Mal, wenn ich mich sexuell hingebe, tue ich etwas, das eigentlich auf eine mögliche Empfängnis hinzielt. Jemand mag einwenden: „Das ist nicht wahr. Die Möglichkeit neuen Lebens ist nicht der Sinn von Sex, zumindest nicht für mich, weil ich es nicht will. Ich tue sogar etwas, um es zu verhindern.“ Bedauerlicherweise kann aber das, was Sie subjektiv beabsichtigen, das, was Ihr Akt objektiv bedeutet, nicht verändern. Ein leiblicher Akt ist wie ein Wort; wir kommunizieren nicht weniger durch das, was wir tun, als durch das, was wir sagen. Wenn hingegen die Aussage des Mundes dem widerspricht, was der Körper sagt, widerruft die Aussage des Körpers die des Mundes. Wenn mein Daumen Ihre Luftröhre abdrückt, sagt er Ihnen: „Sterben Sie jetzt!“, selbst wenn mein Mund die Worte formt: „Sie sollen leben“. Ein Fleisch zu werden sagt: „Ich gebe mich dir hin in allem, was dieser Akt bedeutet“, selbst wenn meine Lippen die Wörter formen: „Dies hat nichts zu bedeuten.“ Wenn zwei Personen sich einander vollständig hingeben, heißt es, dass sie das, was sie sind, als Ganzes hingeben; was sie als Ganzes sind, schließt ihren Körper mit ein; und diesen Körpern ist das Vermögen eingeschrieben, eine dritte Person ins Leben zu rufen. Es ist Teil dessen, was sie geben und empfangen.

Vereinigende Intimität ist somit mehr als ein intensives sexuelles Begehren, das zum lustvollen Geschlechtsverkehr führt. Eine Voraussetzung für die gegenseitige Selbsthingabe ist, dass beide etwas zu geben haben, d.h. sich gegenseitig ergänzen. Das ist nur möglich, weil dem Mann etwas fehlt, das er in der Frau findet, und der Frau etwas fehlt, was sie im Mann entdeckt. Für sich genommen ist jeder einzelne unvollständig; um ganz zu sein, müssen sie vereinigt sein. Paradoxerweise ist diese Unvollständigkeit ein Segen, zunächst, weil sie ihnen ermöglicht, sich einander hinzugeben, und zweitens, weil sie sie dazu motiviert. Die Selbsthingabe lässt jedes Selbst für den anderen das sein, was kein Selbst für sich selbst sein kann. Die Tatsache, dass sie „allen anderen entsagen“, ist nicht einfach ein anrührendes Element traditioneller westlicher Eheversprechen, sondern entspricht der Natur der (Hin-)Gabe. Man kann sich nicht teilweise hingeben, weil das Selbst unteilbar ist; die einzige Art, sich hinzugeben, ist, sich ganz hinzugeben. Weil die Hingabe vollständig ist und weil sie das Fleisch zusammenfügt, das uns individuiert, schließt sie alle anderen aus. Wenn die Hingabe nicht alle anderen ausschließt, hat sie nicht stattgefunden! Was? Haben sie keinen Geschlechtsverkehr gehabt? Doch, aber sie nutzten ihn, um zu lügen.11

Es lässt sich noch mehr über die Selbsthingabe sagen. Soeben führte ich aus, dass wir einander etwas mitteilen, was wir mit unserem Körper tun. Genau genommen ist der Körper das sichtbare Zeichen, wodurch das unsichtbare Selbst sich darstellt und kommuniziert. Wenn das wahr ist, dann hat die Vereinigung der Körper der Ehegatten eine mehr als körperliche Bedeutung; der Körper bildet die Person ab, und die Vereinigung der Körper bildet die Vereinigung von Personen ab. Es ist ein Symbol, das an dem teilhat und das dupliziert, wofür es steht: das Eins-Sein des Fleisches ist die Sprache des Körpers für das Eins-Sein des Lebens [die lebenslange Einheit, Anm. d. Ü.].12

Dies ist mit nichts, was wir sonst mit unseren Körpern tun, zu vergleichen. Für jede andere biologische Anforderung ist ein Körper ausreichend. Jeder kann Nahrung selbst verdauen, ohne einen anderen Magen zu verwenden als seinen eigenen; er kann selbst sehen, ohne die Augen anderer zu gebrauchen; er kann selbst gehen, ohne weitere Beine als seine eigenen zu Hilfe zu nehmen. So ist es mit jeder lebenswichtigen Funktion bis auf eine. Die einzige Ausnahme ist die Fortpflanzung. Sprächen wir von der Atmung, wäre es, als hätte der Mann das Zwerchfell und die Frau die Lungen, und sie müssten zusammenkommen, um einen einzigen Atemzug zu machen. Sprächen wir von der Blutzirkulation, wäre es, als hätte der Mann den rechten Vorhof und die rechte Herzkammer und die Frau den linken Vorhof und die linke Herzkammer, und sie müssten für einen einzigen Herzschlag zusammenkommen. Die Vereinigung, das Eins-Sein der komplementären Gegensätze, ist die einzig mögliche Verwirklichung ihres Potenzials zur Fortpflanzung. Ohne dass sie als „ein Fleisch“ zusammenkommen – wie ein einziger Organismus, wohl aber mit zwei Persönlichkeiten –, ereignet sich keine Fortpflanzung.

Weshalb widme ich dieser Argumentation so viel Zeit? Ich tue es, um zu betonen, wie dicht die verschiedenen Stränge unseres sexuellen Designs verwoben sind. Gegenseitige und vollständige Hingabe, starke Gefühle der Bindung, intensive Lust und die Zeugung neuen Lebens sind durch die menschliche Natur in einem einzigen Komplex von Bedeutungen und Zwecken verbunden. Deshalb spalten wir uns selbst, wenn wir versuchen, diese auseinanderzudividieren. Das Leugnen dieser Tatsache ruiniert unser Leben mehr als Genitalwarzen, und der Schaden ist schwieriger zu beheben als die Behandlung letzterer. Das sollte unterrichtet werden, wird es aber nicht.

Das Problem ist, dass wir nicht glauben wollen, dass diese Dinge wirklich miteinander verbunden sind. Wir wollen nicht das Gesamtpaket, für das sie stehen. Wie Götter wollen wir die eigene Natur überwinden. Wir wollen unter den Elementen unseres sexuellen Designs auswählen und nur jene Teile genießen, die uns zusagen. Manche picken sich dieses Element heraus, andere wählen ein anderes, aber sie erliegen der gleichen Illusion, sie hätten die Wahl. Manchmal wird ein solches wählerisches Vorgehen als „alles haben“ bezeichnet. Genau das ist es nicht. Eine treffendere Beschreibung wäre, alles abzulehnen – darauf zu bestehen, nur einen Teil zu haben –, und am Ende nicht einmal diesen zu bekommen.

Stellen wir uns unsere sexuelle Landschaft als ein Quadrat mit vier Ecken, A, B, C und D vor. In Ecke A sind Menschen, zumeist Männer, die dem Trugschluss aufsitzen, dass sie die sexuelle Lust durch die Instrumentalisierung ihrer Partner und die Verweigerung der Selbsthingabe vermehren können. Damit erliegen sie dem hedonistischen Paradox: Lust und Vergnügen stellen sich natürlich als Nebenprodukte beim Streben nach etwas anderem, etwa dem Wohl eines anderen Menschen, ein. Der sicherste Weg, die Lust zu ruinieren, ist, sie zum Ziel zu erklären. Ein Rockstar meiner Generation, jetzt in der Riege der „alten Knacker“, pflegte zu singen: „I can't get no satisfaction.“ Niemandem, der das Lied jemals gehört hat, käme der Verdacht, dass Mick Jagger je Mangel an Sex hatte. Das Problem war, dass alle Befriedigung nicht mehr befriedigte. Es ist zu vermuten, dass dem immer noch so ist.

In der Ecke B des Quadrats sind andere, zumeist Frauen, die versuchen, die bloßen Gefühle der Vereinigung durch echte Vereinigung zu ersetzen. Wie häufig dies geschieht, zeigt die Abwertung der Intimsprache. „Ich war intim mit ihm“ bedeutet heute „Ich hatte Sex mit ihm“. Nicht mehr und nicht weniger. Dieser Euphemismus wird mehr oder weniger austauschbar mit einem anderen verwendet: „Ich war mit ihm zusammen“, und das sagt Ihnen alles, was Sie wissen müssen.13 Die Beteiligten haben eine bestimmte Transaktion mit ihren Körperteilen durchgeführt. Es mag eine Ein-Fleisch-Vereinigung gegeben haben – ihre Körper mögen zu Zwecken der Fortpflanzung als ein einziger Organismus agiert haben –, aber es gab keine Vereinigung des Lebens, weil dies eine gegenseitige und vollständige Selbsthingabe erfordern würde. Trotzdem erzeugt der körperliche Akt Gefühle der Vereinigung, weil es genau das ist, wofür er gemacht ist. Nichts ist einfacher, als diese Gefühle mit dem zu verwechseln, was sie darstellen und wozu sie ermutigen sollen, und sich im Nachhinein zu wundern, warum alles auseinander fiel. Denn immerhin: „Wir fühlten uns so nahe“, „Wir schienen so verbindlich zu sein“, „Wir hatten etwas Gutes am Laufen“. Ja, alles war da, außer der Substanz dessen, wofür diese Gefühle eigentlich stehen.

In der Ecke C des Quadrats befinden sich Paare, die sich einbilden, dass sie durch die Negation der Fortpflanzungsbedeutung der Sexualität deren vereinigende Bedeutung verstärken könnten. Sie glauben, dass sie die bewusste Vermeidung der sogenannten Last eines Kindes zum Genuss einer tieferen Intimität verhilft. Es funktioniert so nicht. Warum sollte es? Die vereinigende Kapazität der Ehegatten ist nicht vergeblich; aus ihr sollen Mutterschaft und Vaterschaft folgen. Das ist die Matrix, in der sie sich entwickelt, denn Kinder verändern uns auf eine Weise, wie es für uns dringend notwendig ist: Sie wecken uns auf, sie machen in die Windel, sie sind ganz auf uns angewiesen. Wohl oder übel ziehen sie uns aus unseren selbstsüchtigen Gewohnheiten und nötigen uns, aufopferungsvoll für andere zu leben. Sie sind die notwendige und natürliche Verlängerung des Schocks, den der Eheschluss unserer Selbstsucht versetzt. Insofern wir die Einheit suchen, das Geschenk eines Kindes aber ablehnen, befinden wir uns zwar noch in einer Art Einheit, der aber kein guter Verlauf beschieden sein wird. Denn sie ist nach innen gedreht, fängt an zu gären, wird sauer und beginnt zu stinken. Der entscheidende Faktor ist nicht die Unfruchtbarkeit, für die niemand etwas kann, sondern die bewusste Ablehnung der Fruchtbarkeit. Wenn wir die Fortpflanzungsbedeutung der Vereinigung vorsätzlich ablehnen, wird auch die Vereinigung verkümmern. Wir wandeln uns lediglich von zwei egoistischen ICHs zu einem einzigen egoistischen WIR.

In der Ecke D des Quadrats sind Menschen, die genau umgekehrt denken. Anstatt anzunehmen, dass sie die vereinigende Bedeutung der Sexualität ohne Fortpflanzung bejahen, stellen sie sich vor, dass sie die Fortpflanzungsbedeutung der Sexualität ohne Vereinigung bejahen könnten. Das große Beben, das diese Lebensweise verursacht, ist noch nicht ganz absehbar, aber Technologie und Rechtsprechung mit entsprechender Gesetzgebung ermöglichen diese Lebensweise bereits. Darf ich Amber vorstellen, die allein lebt, sich zu gesellschaftlichen Anlässen mit Dave trifft, an dem sie kein sexuelles Interesse hat, und gelegentlich mit Robert schläft, an dem sie kein soziales Interesse hat? Amber will ein Kind, aber nicht die Komplikationen einer Beziehung, und außerdem will sie nicht schwanger sein. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Amber schließt einen Vertrag mit Paul als Samenspender, mit Danielle als Eizellenspenderin, mit Brooke als Leihmutter und Brian als gelegentlicher Vaterfigur, um dem Kind „Qualitätszeit“ zu geben. Legen wir unsere Gefühle beiseite und schauen, was hier passiert. Bei uns Menschen findet die Fortpflanzung im Rahmen einer vereinigenden Beziehung statt. Die vereinigende Bedeutung des Fortpflanzungsaktes zu zerstören bedeutet, ihn in einen ganz anderen Akt zu verwandeln: es ist nicht mehr Fortpflanzung, sondern Produktion. Das Kind ist nicht mehr Ausdruck der Liebe seiner Eltern, sondern ein Output, ein Produkt. In Wahrheit hat es keine Eltern. Es war bereits vor seiner Empfängnis eine Waise. Seine Beziehung zu seinem Betreuer ist wie die eines gekauften und bezahlten Objekts zu dem, der es gekauft und bezahlt hat.

Obwohl ich in diesem Artikel eine Menge behandelt habe, habe ich nur vier Themen entfaltet, die es nun zu rekapitulieren gilt. Das erste ist, dass wir die Prinzipien unseres sexuellen Designs respektieren müssen und sollten. Wie Lebensweisen, die die körperlichen Aspekte unseres Designs missachten, uns krank machen und töten, so ruinieren uns Lebensweisen, die sich über die emotionalen, intellektuellen und geistlichen Aspekte unseres Designs hinwegsetzen, und uns leer zurück lassen.

Das zweite Thema ist, dass die menschliche sexuelle Potenz Sinn und Zweck hat. So wie der Zweck der Sehkraft darin besteht, zu sehen und der Zweck der Verdauung darin, Nahrung aufzunehmen, so ist der Zweck der sexuellen Potenz die Fortpflanzung. Dieser Zweck liegt nicht im Auge des Betrachters. Abgesehen von diesem Zweck hätten wir keine Möglichkeit zu erklären, warum wir sie haben. Wenn wir versuchen, die sexuelle Potenz auf eine Art und Weise zu nutzen, die diesen Zweck durchkreuzt und verletzt, behindern und verletzen wir uns selbst.

Die dritte Thematik ist, dass das Design des Menschen zur Fortpflanzung ein Ehe- und Familienleben erfordert. Das haben die Guppys nicht nötig; sie pflanzen sich ohne diese Institutionen fort. Für uns sind sie aber notwendig. Um es anders auszudrücken: wir sind für Ehe und Familie gemacht, und dafür „fit“ zu sein, ist eines unserer Designkriterien.

Niemand hat sie erfunden, sie sind für niemanden gleichgültig, und es hat in der Geschichte der Menschheit keine Zeit gegeben, in der sie nicht existierten. Selbst wenn sie zerrüttet sind, bestehen sie fort. Ehegatten und Familienmitglieder, die durch eine Katastrophe getrennt sind, nehmen häufig unmenschliche Anstrengungen auf sich, um wieder vereint zu werden. Ehe und Familie sind nicht nur scheinbare Güter, sondern echte, und die Regeln und Gewohnheiten, die zu ihrem Gedeihen notwendig sind, sind Teil des Naturgesetzes.

Das letzte Thema ist, dass der Ehebund seine eigene vereinigende Struktur hat, die diese Institutionen nährt und auch umgekehrt durch sie genährt wird. Diese Struktur hat wiederum eigene Prinzipien, dazu gehört: das Glück kann nicht dadurch vermehrt werden, dass der andere sexuell gebraucht wird; eheliche Freude erfordert eine gegenseitige, ganze und exklusive Selbsthingabe. Gefühle der Vereinigung sind kein Ersatz für Vereinigung; ihr Zweck ist es, zu der Wirklichkeit zu ermutigen, von der sie nur ein Vorgeschmack sind. Die Fortpflanzungs- und vereinigende Bedeutung der Sexualität sind natürlich verbunden; sie sind nicht zu trennen, ohne dass sie verfälscht oder vermindert würden.

Diese Bedeutungen, Zwecke und Prinzipien sind der wirkliche Grund für die Gebote und Verbote einer traditionellen Sexualmoral. Ehre deine Eltern. Sorge für deine Kinder. Warte mit Sex bis zur Ehe. Lass die Ehe fruchtbar sein. Sei deinem Gatten/deiner Gattin treu.

Möge die sexuelle Revolution die sexuelle Revolution zu Grabe tragen. Nach einer ausgiebigen Rotation werden wir wieder am Ausgangspunkt sein. Was Ihre Mutter, nein, was Ihre Großmutter, nein, was Ihre Urgroßmutter Ihnen erzählt hat, hat schon immer gestimmt. Das sind die Naturgesetze von Sex.

J. Budziszewski ist Professor für Politik und Philosophie an der University of Texas, Austin, Texas. Sein Spezialgebiet ist Naturrecht, dazu hat er etliche Bücher veröffentlicht, wie On the Meaning of Sex, The Line Through the Heart und Commentary on Thomas Aquinas's Treatise on Law. Mehr über ihn auf seiner Webseite und seinem Blog http://undergroundthomist.org

Der Text ist eine Übersetzung des zweiten Kapitels aus dem Buch von J. Budziszewski: On the Meaning of Sex. Wilmington 2012, S. 17-33.

Fußnoten

1 Naomi Wolf: Promiscuities: The Secret Struggle for Womanhood. New York 1997, zitiert nach Wendy Shalit: Daughters of the (Sexual) Revolution. Commentary, 1. Dezember 1997, Abrufbar unter www.commentarymagazine.com/articles/daughters-of-the-sexual-revolution/

2 Katie Roiphe: Last Night in Paradise: Sex and Morals at the Century‘s End. New York 1997, zitiert nach Maggie Gallagher: Second Thoughts, Review, 24. März 1997, S. 52.

3 [Das deutsche Wort leitet sich von positiv ab. Im Englischen wird das Verhalten „Bug chasing“ genannt.] Vgl. Gregory A. Freeman: Bug Chasers: The Men Who Long to Be HIV+. In: Rolling Stone, 6. Februar 2003, S. 915. Freemans Artikel ist in homosexuellen Medien dafür kritisiert worden, dass er ein mutmaßliches Statement von Bob Cabaj (Leiter der Behavioral Health Services in San Francisco County und ehemaliger Präsident der Gay and Lesbian Medical Association und der Association of Gay and Lesbian Psychiatrists) gebracht hat, wonach 25 Prozent der neu infizierten homosexuellen Männer in diese Kategorie der Bug Chaser fallen. Cabaj leugnet inzwischen, diese Aussage gemacht zu haben. Auch wenn Aktivisten und Fachleute des Gesundheitswesens diskutieren, wie verbreitet das Phänomen ist, leugnen nur wenige, dass es existiert. Zur Diskussion siehe Seth Mnookin: Is Rolling Stone‘s HIV Story Wildly Exaggerated? In: Newsweek Web exclusive, 23. Januar 2003; Andrew Sullivan: Sex- and Death-Crazed Gays Play Viral Russian Roulette! In: salon.com, 24. Januar, 2004; Phillip Matier und Andrew Rose: Uproar Over S.F. Heath Official‘s Rolling Stone AIDS quote. In: San Francisco Chronicle, 27. Januar 2003; Tammy Bruce: Bug Chasers and the Thought Police. In: FrontPage Magazin, 29. Januar 2003; und Mubarak Dahir: Could ‚Bug Chasing‘ be more serious than we want to admit? In: Bay Windows online, 30. Januar 2003.

4 Norwal Glenn und Elizabeth Marquardt: Hooking Up, Hanging Out, and Hoping for Mr. Right: College Women on Dating and Mating Today. Ein Rapport des Institute for American Values anlässlich des Independent Women‘s Forum 2001.

5 Benoit Denizet-Lewis: Friends, Friends with Benefits, and the Benefits of the Local Mall. In: New York Times Magazine, 30. Mai 2014. Der Autor schreibt weiter: „Hinter der häufigen Angeberei der Teenager stecken sehr gemischte Gefühle angesichts eines Verhaltens, das sie deprimiert, verwirrt und mit Schuldgefühlen zurücklassen kann.“

6 Ich habe diese Bedingungen übernommen und angepasst von Robert C. Koons: Realism Regained: An Exact Theory of Causation, Teleology, and the Mind. Oxford 2000. Die Anpassung liegt in der zweiten der beiden Bedingungen: Anstelle zu fordern, dass die Tatsache, dass P Q hervorbringt, ein Teil der Bewegungsursache von P sei, sage ich, dass sie ein Teil der Erklärung für P sein muss. Damit lasse ich die Möglichkeit zu, dass der Endzweck eine fundamentale und unreduzierbare Kategorie der Erklärung ist, eine Möglichkeit, die Koons inzwischen auch akzeptiert (persönliche Kommunikation).

7 Vgl. Nicholas Eberstadt: World Population Implosion? Speculations About the Demographics of De-population. In: The Public Interest, Herbst 1997; ebd.: What if It‘s a World Population Implosion? Speculations about Global De-population. In: Harvard Center for Population and Development Studies, März 1998; und ebd.: The Population Implosion. In: Foreign Policy, März 2001.

8 [Der Guppy ist ein Süßwasserfisch, der für die Züchtung in Aquarien sehr beliebt ist. Ein Guppy-Weibchen speichert den Samen des Männchens, so dass es nach einer Begattung bis zu elf Mal laichen kann. A.d.Ü.]

9 Sara McLanahan und Gary Sandefur: Growing Up with a Single Parent: What Hurts, What Helps. Cambridge 1994, S. 38.

10 René König: Sociological Introduction [to the family]. In: International Encyclopedia of Comparative Law 4, Nr. 1, 1974, S. 42-43.

11 Der Autor vertieft diese Einsicht im vierten Kapitel seines Buches On the Meaning of Sex, das unter der Überschrift On the Meaning of Sexual Love steht. Nicht alle Formen einer unbedingten, vollständigen Selbsthingabe erfordern Exklusivität; die Einzigartigkeit der sexuellen Selbsthingabe erfordert eine Erklärung, die an dieser Stelle geliefert wird.

12 Für den Rest dieses Absatzes bin ich John Finnis zu großem Dank verpflichtet. Siehe z. B. Finnis, John: The Good of Marriage and the Morality of Sexual Relations: Some Philosophical and Historical Observations. In: American Journal of Jurisprudence, Nr. 42, 1997, S. 97-134.

13 Im Englischen steht: "I was intimate with him" bzw. "I was physical with him".

Von

  • J. Budziszewski

    J. Budziszewski ist Professor für Politik und Philosophie an der University of Texas, Austin, Texas. Sein Spezialgebiet ist Naturrecht, dazu hat er etliche Bücher veröffentlicht, wie On the Meaning of Sex, The Line Through the Heart und Commentary on Thomas Aquinas's Treatise on Law. Mehr über ihn auf seiner Webseite und seinem Blog: http://undergroundthomist.org

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