Sehr geehrte Leser, liebe Freunde,

vor über zwei Jahrzehnten führte die Bundesregierung das „Gender-Mainstreaming“(GM) als ressortübergreifendes politisches Leitprinzip ein, um die Geschlechterperspektive in den gesellschaftlichen „Hauptstrom“ einzubinden. Viele dachten, dass das Konzept hinter dem schillernden Wortgebilde als kurzlebige Erscheinung bald wieder in den Tiefen akademischer und bürokratischer Schubladen verschwinden würde. Heute jedoch sehen wir mehr denn je, wie der konstruktivistische Begriff von Geschlecht, der GM zugrunde liegt, zu einer für alle verbindlichen gesellschaftlichen, politischen und pädagogischen Realität geworden ist.

Selbstbestimmungsgesetz

In diesen Tagen vollzieht sich ein beispielloser Paradigmenwechsel. Vor einigen Wochen (am 23. August 2023) hat sich das Bundeskabinett auf den kontrovers diskutierten Entwurf zum Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) geeinigt. Dieses Gesetz zielt darauf ab, die Änderung des Geschlechtseintrags für Menschen zu erleichtern, die sich nicht in der binären Geschlechterzuordnung von Mann und Frau wiederfinden oder ihr eingetragenes Geschlecht von männlich zu weiblich oder umgekehrt verändern möchten. Ab dem 18. Lebensjahr soll die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags beim Standesamt durch eine einfache Erklärung erfolgen, ohne Vorlage eines Gerichtsbeschlusses aufgrund eines dafür notwendigen ärztlichen Gutachtens. Minderjährige ab 14 Jahren können diese Erklärung mit einer Selbstversicherung selbst abgeben, wobei die Zustimmung der Erziehungsberechtigten erforderlich ist. Falls die Eltern nicht zustimmen, kann ein Familiengericht die Zustimmung der Eltern ersetzen.

Obwohl der Gesetzesentwurf und seine Befürworter beteuern, dass es in diesem Gesetz lediglich um juristische Formalien der Transition geht und die Vorgaben für medizinische Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung nicht betrifft, wird es mit Sicherheit einen katalytischen Einfluss auf junge Menschen haben.

Kinder- und Jugendpsychologen warnen

Seit mehreren Jahren beobachten zahlreiche Kinder- und Jugendpsychiater und Therapeuten mit Besorgnis den enormen Anstieg der Fälle von Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen sowie die wachsende Tendenz, als Option in der fragilen Phase der geschlechtlichen Identitäts-Orientierung und Selbstfindung die Transition zu ergreifen. Im Herbst 2022 warnte das Deutsche Ärzteblatt, es gäbe in der Medizin kaum einen Bereich, „in dem innerhalb des letzten Jahrzehnts ein so eklatanter Prävalenzanstieg zu beobachten war wie bei Störungen der geschlechtlichen Identität“. Die exponentielle Zunahme binnen weniger Jahre um mehr als 1000% in den angelsächsischen und europäischen Ländern, wobei auffällt, dass 80% der Fälle Mädchen sind, ist eine besorgniserregende Entwicklung. Aus unserer Sicht ist es naiv und irreführend zu meinen, das neue Gesetz würde die Tendenz nicht weitern befeuern.

Korruption der Sprache

Bereits der Begriff „Selbstbestimmung“ ist irreführend. Das biologische Geschlecht kann man nicht selbst bestimmen. Es ist gegeben und unveränderbar. Der Tautologie „Eine Frau ist eine Person, die sich selbst als Frau definiert“, die die Familienministerin als der Weisheit letzten Schluss zum Besten gab, ähnelt der halsbrecherischen begrifflichen Akrobatik der Broschüre „Queer in der Kita! Informationen und Praxisimpulse für eine queer-inklusive Elementarpädagogik in der Kindertagesbetreuung“ der Vereinigung „Queeres Netzwerk NRW“. Darin heißt es: „Sofern eine trans*Person gebärfähig ist, hindert sie biologisch nichts daran, ein Kind zu bekommen – unabhängig davon, ob sie männlich, weiblich oder nicht-binär ist.“ Oder anders ausgedrückt: „Sollte ein trans*Mann in einer schwulen Beziehung mit einem anderen Mann leben, hätten die beiden somit kein Problem gemeinsam rechtliche Eltern des Kindes zu werden, da der trans*Mann als Mutter und der Partner als Vater des Kindes eingetragen wird. … Ist der gebärende trans*Mann jedoch mit einer Person mit weiblichem Personenstand zusammen, lebt also (rechtlich) eine heterosexuelle Beziehung, muss die Frau das Kind per Stiefkindadoption annehmen, da es ja bereits eine (wenn auch männliche) Mutter gibt.“ Diese Broschüre wurde vom „Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes NRW“ gefördert und lässt erahnen, was mit der bereits geplanten Novelle des sog. Abstammungsgesetzes auf uns zukommt.

Gegen Eltern vorgehen

Eine Strategie zur Förderung der sog. „Trans-Rechte“ wurde von der weltweit größten Anwaltskanzlei Denton und der Thomas Reuters Foundation, mit Unterstützung der EU und der „International Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer & Intersex Youth and Student Organisation (IGLO)“erstellt. Sie zielt darauf ab, Trans-Rechte zu Menschenrechten zu erklären, um gegen Kritiker als Menschenrechtsverletzer vorgehen zu können. Das Kindeswohl soll so definiert werden, dass auch Kinder ohne elterliche Zustimmung geschlechtsangleichende Behandlungen wählen können. Dort heißt es: „So sollten Staaten beispielsweise gegen Eltern vorgehen, die die freie Entfaltung der Identität einer jungen transsexuellen Person behindern, indem sie sich weigern, die erforderliche elterliche Genehmigung zu erteilen.“ Das „Selbstbestimmungsgesetz“ folgt diesem Prinzip: Für Kinder bis 14 Jahren müssen Eltern die Änderungserklärung abgeben, Jugendliche ab 14 können dies mit elterlicher Zustimmung selbst tun. Falls die Eltern ihre Zustimmung verweigern, kann der Teenager eine Einwilligung beim Familiengericht beantragen. Ein massiver Eingriff in das Elternrecht.

Einige Staaten rudern zurück

Seit vielen Jahren gilt das „Dutch Protocol“ als Standard für die Behandlung von Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz und -dysphorie, das zunehmend einem affirmativen Anspruch folgt und zur immer früheren Transition ermutigt. In letzter Zeit hinterfragen Experten und Politiker in Finnland, Schweden, Norwegen und Frankreich frühe medizinische Intervention, insbesondere die Behandlung mit sog. Pubertätsblockern. Eine von der englischen Regierung in Auftrag gegebene Überprüfung der für Kinder eingerichteten Tavistock Genderklinik in London, die inzwischen geschlossen werden musste, ergab unter anderem, dass der niederländische Behandlungsansatz nicht hinreichend durch empirische Forschung abgesichert war. Sollte diese Neubewertung uns und den politischen Entscheidungsträgern nicht zu denken geben? In diesem Bulletin möchten wir diese Frage eingehender beleuchten.

Was viele Jahre unter der Spitze eines Eisberges nur eine Ahnung blieb, tritt nun als sichtbare Realität im öffentlichen und privaten Leben, in Wissenschaft und Politik in Erscheinung. Das Gesetz und die unzureichend geführte Debatte darum legt eine tiefreichende anthropologische und kulturelle Verwirrung und ethische Erosion im Verhältnis der Geschlechter und im Bereich der Sexualität offen. Sie wird uns in Familie, Gemeinde, Bildungsarbeit und Kirche zunehmend herausfordern. „Die letzte verantwortliche. Frage ist nicht, wie ich mich heroisch aus der Affäre ziehe, sondern wie eine kommende Generation weiter leben soll.“ (Dietrich Bonhoeffer).

Mit freundlichen Grüßen
Konstantin Mascher
Reichelsheim, den 8. September 2023

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