Im Ringen um Menschen und um Unterscheidung

Eine katholische Argumentationshilfe im Disput über „Freundschaft“, „Ehe“ und „Annahme“

Viele, die sich Hoffnung gemacht hatten auf eine neue Sicht der Kirche auf gleichgeschlechtliche Beziehungen, wird es enttäuschen, dass das römische Lehramt für die Kirche keine Vollmacht erkennt, eine liturgische Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zu ermöglichen. Bevor man Papst Franziskus und der Kirche Hartherzigkeit und Intoleranz unterstellt, sind wir eingeladen, die Gründe für diese Entscheidung zu betrachten.

Anders als viele Gruppen in der Gesellschaft, sieht die Kirche in gleichgeschlechtlichen Beziehungen nach wie vor keine „Ehe“, auch wenn es manche Elemente gibt, die für beide Lebensformen charakteristisch sind. Auch hier gibt es Menschen, die einander Nähe und Vertrauen schenken und in tief empfundener Liebe einander verbunden sind. Dennoch sieht die Kirche in verbindlichen gleichgeschlechtlichen Beziehungen eher die Form einer Freundschaft. Das ist zunächst einmal nicht wenig, denn auch „Freundschaft“ ist eine Grundkategorie der Heiligen Schrift. Immerhin gibt es – folgt man Jesus – „keine größere Liebe“ (Joh 15,13) als die Hingabe des Lebens aus „Freundschaft“. Papst Franziskus hat erst kürzlich ausdrücklich gutgeheißen, wenn der Staat für Menschen in dieser Situation Rechtsformen schafft, die der Sorge füreinander und der wechselseitigen Absicherung einen guten Rahmen geben.

Auch wenn die Kirche nun aus bestimmten Gründen klarstellt: Es ist keine Ehe und darf auch nicht den Anschein einer Ehe bekommen, so gibt es doch Gründe für die Kirche umzukehren und Menschen mit gleichgeschlechtlichen oder anderen sexuellen Orientierungen auf neue Weise zu begegnen und sie im vollen menschlichen Sinn anzunehmen. Allzu oft in der Geschichte hat sich auch unsere Kirche und haben sich auch Verantwortliche der Kirche an der Ausgrenzung und Diffamierung von Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung beteiligt. Nicht zuletzt um oft die eigene vermeintliche Wohlanständigkeit zu bestätigen. Gerade der Skandal um den sexuellen Missbrauch zeigt, dass die Frage nach dem angemessenen Umgang mit Sexualität eine neue, tiefe und ehrliche Auseinandersetzung in unserer Kirche braucht. Und das betrifft ausnahmslos jeden Menschen, insbesondere auch Gläubige und Amtsträger der Kirche.

Gebunden an Schrift und Tradition

Grundsätzlich gilt: Bei allem, was die Kirche denkt, ist sie gebunden an das, was sie aus der Begegnung mit Gott erfahren hat und was als Offenbarung in der Heilige Schrift und in der Tradition Niederschlag gefunden hat. Die Kirche ist keine Einrichtung, die aus sich heraus definieren könnte, was Gut und Böse, was richtig und falsch ist. Was sie weiß, weiß sie aus der Natur der Dinge und aus den Offenbarungen Gottes, wobei es in neuen Sachverhalten und neuen geschichtlichen Situationen oftmals auch ein neues Ringen um die rechte Unterscheidung von Gut und Böse, richtig und falsch gab und gibt – so auch in unserer Frage. Aber unter Berufung auf die Heilige Schrift und auf die frühe, apostolische und seither fortbestehende Tradition (die in Judentum und Islam geteilt wird), bleibt die Kirche bei ihrer Überzeugung, dass ausgelebte Sexualität letztlich nur in die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gehört.

Während die Heilige Schrift auf die Entfaltung von Sexualität in gleichgeschlechtlicher Liebe nicht (oder nur in Form von Zurückweisungen) eingeht, ist in ihr der Sinn von Ehe reich entfaltet und tief in die christliche Anthropologie eingelassen. Beginnend mit den Schöpfungsberichten im Buch Genesis und durchgängig durch die gesamte Heilige Schrift spricht die Bibel in besonderer Weise von der geschlechtlichen Liebe zwischen Mann und Frau. Die Heilige Schrift kennt in sexueller Hinsicht keine sich selbst genügenden Männer- und Frauenwelten. Die Komplementarität der Geschlechter gehört zu den Urgegebenheiten der Schöpfung. Nicht im Mann findet der Mann – und nicht in der Frau die Frau – die ebenbürtige „Hilfe“ (Gen 2,18) und das ersehnte „Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ (Gen 2,23).

Erst in der Selbstüberschreitung auf das andere Geschlecht hin werden beide ein Leib und fruchtbar. Hier wie nirgends sonst rücken Schöpfer und Geschöpf in unmittelbare Nähe: Der Gott, der aus Liebe Leben hervorgebracht hat, beruft Menschen, damit im Bund der Liebe das Getrennte der Geschlechter zusammenkommt, um das Wunder neuen Lebens hervorzubringen. „Sie werden ein Fleisch“ (Gen 2,24), darin fruchtbar und zum Abbild der lebensspendenden Liebe Gottes.

Weil sich Teilhabe an Gottes schöpferischer Liebe in der Hochzeit von Mann und Frau verwirklicht, wird „Hochzeit“ zum wirkmächtigen Bild der Beziehung, die Gott selber mit seinem Volk verbindet. Wie ein Bräutigam wirbt Gott immer neu um die wankelmütige Braut Israel. Auf dem Weg durch die Geschichte „heiratet“ Gott diese Braut (vgl. Hos 2,16-22), die gleichwohl immer wieder untreu wird. Jesus selbst ist letztlich der eigentliche, der endgültige „Bräutigam“ des neuen Hochzeitsbundes, die Jünger sind die „Hochzeitsgäste“ (Mk 2,19). Seine „Inkarnation“ ist die Überbietung aller Vereinigungen von Gott und seiner Schöpfung. In Jesus Christus selbst heißt es nämlich von Gott und Mensch „und sie werden ein Fleisch“. So tief reicht die Analogie, dass auch die Eucharistie, die Quelle und Höhepunkt allen kirchlichen Lebens ist, als das „Hochzeitsmahl des Lammes“ gefeiert wird, endgültige Besiegelung des Bundes zwischen Gott und seiner Schöpfung, zwischen Christus und seiner Braut, der Kirche. Keine andere Religion kennt einen fleischgewordenen Gott.

Die christliche Sexualethik hat daher immer auch von der „Natur“ her gedacht, besser gesagt von der physiologisch aufeinander bezogenen Natürlichkeit von Mann und Frau. Gleichgeschlechtlicher Sex wurde von hier als Imitat beurteilt, denn die körperliche Sehnsucht nach Vereinigung kann hier nicht zur Fruchtbarkeit in einem Kind führen. Schrift und Überlieferung beurteilen aber – und das ist wichtig – konsequent nicht die Neigung, wohl aber praktizierte Homosexualität als „Sünde“ – eine Feststellung, die auch in neuen Versuchen biblischer Deutung zum Thema nicht einfach wegerklärt werden kann. Denn nirgendwo in Schrift, Überlieferung und lehramtlichen Äußerungen findet sich eine positive Wertung gleichgeschlechtlicher sexueller Praxis.

Was die Kirche nicht tun kann

Das alles klingt wie eine einzige Absage an Menschen, die sich nicht im komplementären Schema wiederfinden und doch ihrer Liebe auch einen körperlichen Ausdruck verleihen möchten. Sagen wir zunächst in gebotener Nüchternheit, was die Kirche nicht kann: 1. Sie kann den Segen, der auf der Ehe liegt, nicht auf andere Formen menschlicher Gemeinschaft übertragen. Die Kirche kann 2. auch nicht dispensieren von dem Auftrag an die Gläubigen, ein „neues Leben“ zu leben, das ihnen in der Taufe zugleich geschenkt wie aufgegeben ist. Das heißt: Hingabe an den einen, in Jesus Christus endgültig offenbar gewordenen Gott, bedeutet im gleichen Atemzug: Fortwährendes Bemühen um eine Absage an alles, was den Menschen sonst dominieren könnte, etwa an das, was Paulus als „Werke des Fleisches“ (Gal 5,20-21) bezeichnet. Das will sagen: Kein Christ, welcher sexuellen Orientierung auch immer, darf sich ungebremst seinen Triebimpulsen hingeben und beispielsweise mit Promiskuität, Pornographie oder der sexuellen Instrumentalisierung anderer Menschen anfreunden. Die Kirche kann schließlich 3. keine Segensliturgie installieren, in der die Betroffenen wie die Öffentlichkeit eine quasisakramentale Legitimierung von etwas sehen würden, was in der Heiligen Schrift „Sünde“ genannt wird. Schon in seinem großen Lehrschreiben über die „Freude der Liebe“ (Amoris laetitia, 2016) sah Papst Franziskus „keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn.“ (AL 251)

Was aber kann die Kirche tun?

  1. In der Kirche gibt es keine Unterscheidung zwischen Menschen, die „in Ordnung“ sind und solchen die „nicht in Ordnung“ sind. Alle sind Sünder, und es gibt keinen Menschen, der seine Natur ungebrochen erfährt. Und keinen, der nicht erlösungsbedürftig wäre. Gerade in sexueller Hinsicht ist wohl jeder Mensch in einem lebenslangen Prozess des Lernens – einschließlich der Erfahrungen von Scheitern; ein Prozess, der im gelingenden Fall zu einer immer besseren Integration seiner Triebwünsche in das Ganze der Liebe führt. Wer von der Liebe her sein Leben strukturiert, macht das Entscheidende richtig. So heißt es auch in 1 Petr 4,8: „Vor allem haltet fest an der Liebe zueinander; denn die Liebe deckt viele Sünden zu.“ Die Gebote Gottes, sagt Kardinal Schönborn, „sind nicht graduell. Du kannst nicht ein bisschen töten – töten ist töten… Die klassische Lehre sagt, in der Verwirklichung der Gebote Gottes ist unsere Praxis oft graduell. Wir verwirklichen nicht das volle Programm, wir sagen damit aber nicht, dass das Teilprogramm schon genügt. Eine Gradualität der Verwirklichung der Gebote Gottes ist einfach ein Ausdruck für die Begleitung von Menschen, die auf dem Weg sind. Und wir sind alle auf dem Weg.“
  2. Die Kirche muss das Gute, und wie man es erreicht, auf neue Weise durchdenken – und daher auch neu handeln lernen. Mit der einzigen abstrakt formulierten Alternative von „das ist erlaubt“ und „das ist verboten“ hilft man Menschen nur begrenzt in ihrer realen Situation, – ob es sich nun um voreheliche Beziehungen, wiederverheiratete Geschiedene oder Menschen in gleichgeschlechtlichen Verbindungen handelt. Die Kirche muss das Gute zum Leuchten bringen und Menschen, die es erlangen möchten, selbstlos und nachhaltig auf dem Weg zu einem ge lingenden Leben begleiten. Dabei muss die Kirche im Respekt vor dem freien Individuum ihre Prinzipien keineswegs aufgeben; aufgeben muss sie ihre Versuchung zur Verurteilung und Ausgrenzung von Menschen. Gott allein richtet – auch uns. Augustinus sagt: „Viele, die drinnen sind, sind draußen, und viele, die draußen sind, sind drinnen.“
  3. Die Kirche sieht und würdigt die Anstrengungen, die Menschen – gleich welcher Orientierung - unternehmen, um aus einem Modus apersonaler (oft genug süchtiger) Befriedigung hin zu einem Leben in Beziehung, Liebe und dauerhafter Verlässlichkeit zu kommen. Aus vielen Selbstzeugnissen wissen wir, wie herausfordernd das gerade im Fall von männlicher homosexueller Orientierung ist, wo sich Betroffene nicht selten auf eine Unterscheidung zwischen sexueller und sozialer oder emotionaler Treue berufen. Liebe zielt aber auf das Ganze des Menschen, auf eine Treue, die nicht einfach teilbar ist. Daher ist auch die Kirche aufgerufen, nicht jede Form geteilter sexueller Beziehungen außerhalb einer Ehe unter dasselbe einsinnig negative Urteil zu stellen. Papst Franziskus sagt in Amoris Laetitia (301): „Die Kirche ist im Besitz einer soliden Reflexion über die mildernden Bedingungen und Umstände. Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten ‚irregulären‘ Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben“.
  4. Die Kirche achtet die Freiheit derer, die von sich sagen, dass sie nicht anders können oder nicht anders wollen können, als ihre Neigung auch in Partnerschaft auszuleben. Sie achtet die Freiheit derer, die es auch gläubig vor Gott tun, die es in aufrichtiger Gewissensentscheidung tun – auch im Wissen darum, dass es in Dissonanz zu Schrift und Überlieferung steht. Das ist ein echtes Dilemma, das die Kirche aber nicht einfach auflösen kann. Auch die Kirche muss eine Dissonanz – die zwischen Barmherzigkeit und Treue zu ihrer Lehre – aushalten und kann diese nicht vorschnell in Harmonie auflösen – auch wenn Kultur und Gesellschaft dahin drängen. Kein Hirte oder Lehrer der Kirche hat eine Lizenz, etwas vorbehaltlos gutzuheißen, was die gesamte Überlieferung nicht gut nennt.
  5. Die Kirche will Menschen durch den Glauben letztlich in die Fähigkeit führen, ganzheitlich und absichtslos zu lieben. Eine solche Liebe ist lauter, sie ist „keusch“ im vollen Sinn des Wortes, weil sie den anderen Menschen nicht einfach „für sich“ liebt und begehrt, sondern an ihm selbst meint. Lieben christlich heißt, das Gut des Anderen wollen. Damit ist Keuschheit nicht eine defizitäre Weise zu lieben, sondern letztlich die Weise, wie Gott liebt, wie Jesus liebt – und als Lebens- und Lernprogramm jedem Menschen geschenkt und aufgegeben, der den Weg des Glaubens geht. Auch innerhalb einer Ehe wird es darum gehen, den Sexualtrieb so in ein reifes Miteinander der Eheleute zu integrieren, dass er Anteil an einer Ausdrucksform von Liebe wird, die den jeweils Anderen um seinetwillen meint.
  6. Die Kirche muss die Willkommenskultur Jesu widerspiegeln, dem jede Berührungsangst fremd war. Sie darf glauben, dass Gott keinen Menschen vom Heil ausschließt, der es nicht selbst tut. Und sie darf gewiss sein, dass Gott für jeden Menschen und zu jedem Zeitpunkt seiner Entwicklung einen Weg hat. Die Kirche hat eine Bringschuld: Sie muss schwulen und lesbischen Menschen und allen anderen, die im Blick auf sexuelle Neigung und Identität jenseits dessen liegen, was Kirche für normal hält, ihre Freundschaft anbieten, ihnen eine Heimat und einen Schutzraum in der Kirche geben, – und nicht erst dann, wenn sie enthaltsam leben oder so sind, wie es der Katechismus gut heißt. Das wird ein langer pastoraler Weg sein, bei dem noch kaum deutlich ist, was er erforderlich macht an Lernerfahrung, Kennenlernen, Offenheit und aufeinander Zugehen. Aber Menschen in der Einsamkeit entzogener Annahme und entzogener vorbehaltloser Bejahung zu belassen, ist eine strukturelle Sünde.

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